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Köstlich-Uriges aus alten Zeiten

»Vom Pickert zur Pizza«: Seniorennachmittag im Historischen Museum

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Voltaire hatte (wie so oft) keine Ahnung: »Des Königs Affe«, wie ihn die Brackweder Bauern nannten, machte sich über einen »klebrigen schwarzen Stein« lustig, den die Westfalen aßen - Pumpernickel. Der Historiker Dr. Gerhard Renda unternahm gestern einen Streifzug »Vom Pickert zur Pizza«.

Frankreichs bekannteste philosophische Plaudertasche des 18. Jahrhunderts mümmelte eben nur Weißbrot. Er wusste nicht, dass die bei 100¡ Celsius 24 Stunden lang fermentierte Mischung aus angesäuertem Roggenschrot und Wasser, mit den Füßen geknetet, von Königen geschätzt wurde - von den Hohenzollern und vom 1714 auf Englands Thron gelangten Haus Hannover. Die älteren Zuhörer bei Rendas Vortrag im Historischen Museum dagegen konnten gut verstehen, warum es Pumpernickel-Rezepte sogar in Henriette Davidis' Kochbuch für die besseren Kreise schafften.
»ÝPumpernickelÜ als Name etablierte sich seit dem Dreißigjährigen Krieg, zunächst für das Brot der einfachen Soldaten. Etymologien wie die Verballhornung des französischen »pain« (Brot) oder »bon« (gut) »pour Nicole« (für ein Pferd namens Nicole) verwies der Experte des Historischen Museums ins Reich der Legende.
»Der zähe, schwere Pumpernickel wurde von Männern zubereitet«, erzählte Renda und dokumentierte mit humorigen Texten den »Geschmackskrieg« um das süßliche Lebensmittel. »Horrendus panis«, schreckliches Brot, nannte Westfalens früher Chronist Werner Rolevinck, was andere sich von weither kommen ließen - zum Beispiel die nach Amerika ausgewanderten Norddeutschen. Die beziehen es heute in aller Regel von Mestemacher aus Gütersloh.
Ähnliche Kontroversen löste der Pickert aus, von dem eine Luxusversion (mit Eiern, Milch und Schmalz) neben einer ärmlichen Variante (nur Wasser und Buchweizengrieß) existierte. »Was picken bleibt, bleibt kleben«, erläuterte der Franke Renda den Namen und erschauderte, als er von Rübenkraut und Leberwurst sprechen musste. »Rübenkraut milderte den früher üblichen penetranten Räuchergeschmack der Wurst«, klärte ihn ein Zuhörer auf.
Heute sind Pumpernickel und Pickert fast zu Exoten im eigenen Land geworden; wo gebackener Teig auf dem Teller liegt, ist es meist Pizza - in Italien ursprünglich auch ein Arme-Leute-Essen. »Erst nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete sich die deutsche Küche internationalen Einflüssen«, sagte Renda, und Bielefelds erstes ausländisches Restaurant, ein Jugoslawe, brutzelte sein Cevapcici erst ab 1961 (in Hillegossen).
Vor 40 Jahren, als noch kein Fast-Food-Imbiss die Schäden der amerikanischen Kulturhegemonie dokumentierte, erklärten die Deutschen Eisbein mit Sauerkraut, Sauerbraten mit Knödeln und Hähnchen mit Pommes zu ihren Lieblingsgerichten. In Rendas Publikum will man gehört haben, heute stünden Rouladen und Sauerbraten obenan. Wie dem auch sei: Pumpernickel mit Butter und Schinken ist was Feines (und illustriert in einer Soester Kirche sogar das Abendmahl!).
Der nächste Vortrag im Historischen Museum findet am 1. September statt. Renda spricht dann anlässlich zweier brandneuer Sonderausstellungen über »Jüdisches Leben in Bielefeld«.

Artikel vom 05.08.2005