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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


»Die Gemeinde braucht nicht glänzende Persönlichkeiten, sondern treue Diener Jesu und der Brüder«, schreibt Dietrich Bonhoeffer. Heute hätten ihm die Dienerinnen und Schwestern vorgehalten, nicht eigens erwähnt worden zu sein. Doch mit diesem Zusatz wären sie wohl zufrieden, und man könnte insgesamt zustimmen.
Allerdings hat Bonhoeffer nicht nur die Frauen vergessen, sondern auch die überaus wichtige Rolle der gebrochenen Existenzen im Reich Gottes und für das Reich Gottes. Die Bibel ist voll von ihren Geschichten; denn sie webt ja keine Heiligenlegenden nicht zu erschütternder Tugendhaftigkeit und stabiler Gerechtigkeit, sondern sie erzählt im Gegenteil von begnadigten Sündern, die, bevor sie Gnade empfangen konnten, erst einmal, wie in einer Feuertaufe, lernen mußten, daß sie Sünder sind.
Sie kennt nicht - wie etwa die Sagen der Völker - auf der einen Seite nur Tugendbolde und - boldinnen und auf der anderen die Bösewichter, die zumindest überwiegend männlichen Geschlechtes sind. Sie vermeidet solche der Wirklichkeit nicht entsprechende Schwarz-Weiß-Malerei. (In weiteren Folgen sollen vermehrt biblische Gestalten vorgestellt werden.)
Für das biblische Menschenbild hat Martin Luther eine treffende Formel gefunden: »simul iustus et peccator« - Sünder und gerecht zugleich. Damit meint er nicht eine Mischung, die meistens auf ein Grau in Grau hinausliefe, sondern ein lebendiges Geschehen. Denn der Mensch ist zwar von sich aus Sünder, aber er ist nicht von sich aus gerecht. Er ist es trotzdem, weil Gott ihn rechtfertigt, gerecht spricht. Denn in Jesus Christus gibt er ihm den Stellvertreter, der allein die Last seiner Sünde, das Los seiner Gottesferne, zu tragen und ihm abzunehmen vermag.
Dafür steht exemplarisch der Name des Petrus. Das ist der Jünger Jesu, der seinen Herrn verleugnete, obwohl er diese Möglichkeit zuvor kategorisch und fast beleidigt ausgeschlossen hatte. Doch ein Mensch kann es erleben, daß die eigenen Grundsätze, die ihn über Jahrzehnte geleitet haben, ins Wanken geraten, daß sich in ihm etwas Bahn bricht und einen Weg sucht, das er bisher vielleicht nicht einmal gekannt, nicht geahnt oder - häufiger noch - aus seinem Bewußtsein verbannt hatte. Es läßt ihn schuldig werden, und es führt bei anderen zu Enttäuschungen.
Trotzdem muß zumindest die Frage erlaubt sein, ob solch ein Knick im Lebensweg nur herrührt von mangelnder Willensstärke und fehlender Festigkeit.
Könnte es nicht auch damit zusammenhängen, daß Gott selbst auf geheimnisvolle und uns verborgene Weise die Weichen dafür gestellt hätte? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, ist dies für Außenstehende oft ausgeschlossen und undenkbar. Aber immerhin hatte Jesus dem Petrus vorausgesagt, dieser werde ihn verleugnen. Er tat das nicht, um ihn in letzter Minute noch davor zu warnen, sondern um ihm deutlich zu machen, dieser Weg sei für ihn unausweichlich. An was für ein Ziel solch ein Weg führen soll, weiß Gott allein, und davon kennt die Bibel auch durchaus Varianten, unterschiedliche Ausgänge.
Eines aber kann manch einer nur so und nicht anders erfahren, und zwar nicht als Lehrbuchweisheit, sondern als lebendiges Evangelium, nicht theoretisch, sondern in seiner ganzen Existenz: Ich lebe nicht von meinen Prinzipien, vom meiner Prinzipientreue, von meiner eigenen Gerechtigkeit, meiner vermeintlichen Vorbildlichkeit, sondern von der Gnade und der Vergebung, die Gott mir durch Jesus Christus unverdienterweise und bedingungslos, von sich aus und aus Liebe, zuteil werden läßt.
Petrus hieß zuvor Simon. Den neuen Namen erhält er von Christus: Petrus, zu deutsch Fels. Er soll der Fels werden, auf den Jesus seine Gemeinde bauen will. Dazu konnte er aber nur werden als ein Felsen, durch den ein Riß gegangen ist.

Artikel vom 06.08.2005