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Krimi im Weltall - erste Not-OP
an Shuttle verlief »wunderbar«

Astronaut schließt gefährliche Außenreparatur an Weltraumfähre ab

Houston/Washington (dpa/Reuters). »Ich halte fest und ziehe. Er kommt sehr einfach heraus. Wunderbar.« US-Astronaut Steve Robinson (49) wird in die Raumfahrtgeschichte als erster Astronaut eingehen, der ein Space-Shuttle im Weltall repariert hat.

Mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger seines dicken Weltraumhandschuhs entfernte der 49-Jährige zwei überstehende Füllstreifen zwischen Hitzekacheln. Am Ende sah die Notreparatur so einfach aus wie das Ziehen einer Kreditkarte aus einem Geldautomaten.
Von einem Erfolg dieses nie da gewesenen riskanten Notfalleinsatzes hing nicht nur das Leben von Robinson, sondern das der gesamten siebenköpfigen »Discovery«-Crew ab. Das, was sich mehr als eine Stunde lang im Weltall abspielte, glich einem faszinierenden Krimi mit spektakulären Aufnahmen in 360 Kilometern über der Erde.
»Ich bin bereit zu fliegen«, sagte Robinson zu Beginn seines mehr als einstündigen Einsatzes. Mit angeschnallten Füßen am Ende eines Roboterarmes der Internationalen Raumstation ISS schwebte er förmlich durch Zeit und Raum bis zur »Discovery«. Als erster US-Astronaut betrachtete er aus dem Weltall die wie einen Flickenteppich aussehenden Hitzekacheln am Unterboden seiner Raumfähre. »Es ist wirklich spektakulär. Da gibt es nichts.«
»Steve, wenn du fertig bist, können wir anfangen«, sagte eine Stimme aus dem Kontrollzentrum in Houston. »Fertig«, antwortete Robinson wie aus einer Schnellschusspistole. Dann begann die Fingerspitzenarbeit, ein Job für Feinmotoriker, der sehr entfernt vergleichbar ist mit einem ferngesteuerten Spielzeugauto, das mit einigen Manövern exakt vor einer Startlinie positioniert werden muss.
Wie in Zeitlupe bewegte sich der Roboterarm mit Robinson zu den beschädigten Stellen an der Außenhaut der Raumfähre. »Einen Fuß (30,5 Zentimeter) herunter«, sagte Robinson. »3,2,1 - keine Bewegung mehr.« Der erste Anlauf schlug fehl, Robinson war weiter als eine Armlänge von der Außenhaut entfernt. »Steh aufrecht und beuge dich nach vorn«, weist die Stimme aus dem Kontrollzentrum den in der Schwerelosigkeit schwebenden Mann zurecht.
Robinson hatte eine Kamera am Helm seines Weltraumanzuges. Auch eine weitere Kamera am Roboterarm des Space-Shuttles gab dem Kontrollzentrum in Houston einen klaren Überblick. »Kein Kontakt mit der Raumfähre«, sagte die Stimme. »Mein Ziel ist es, die Hitzekacheln überhaupt nicht zu berühren«, versprach Robinson. Er werde die hervorstehenden Füllstreifen nur »ganz, ganz behutsam berühren«.
Eine der größten Ängste der NASA war, dass Hitzekacheln bei der Notreparatur gerade dort zerstört werden könnten, wo sie am nötigsten gebraucht werden - an dem besonders hohen Temperaturen ausgesetzten Unterboden des Shuttles. Dies wäre genauso lebensgefährlich geworden wie die beiden hervorstehenden Füllstreifen. NASA-Techniker befürchteten, dass sich an den Streifen Turbulenzen bilden und sich als Folge die Hitzekacheln zu stark erhitzen könnten - deshalb mussten die Füllstreifen entfernt werden.
Am Ende sah die Reparatur einfacher aus als erwartet, aber für Robinson war sie kein Weltraumspaziergang. Auf den Astronauten lauerten vielfältige Gefahren, sagte der stellvertretende Programmdirektor Wayne Hale vor Beginn des »historischen Einsatzes«.
Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hatte befürchtet, die Unebenheiten könnten die Aerodynamik der Raumfähre stören und zu einer stärkeren Aufheizung des Schutzschildes beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre führen. Probleme am Hitzeschild hatten 2003 zum Absturz der »Columbia« geführt. Die Nasa erwägt für morgen einen weiteren Arbeitseinsatz im All, bei dem die Astronauten ein hervorstehendes Stück Isolierung nahe des Kommandantenfensters befestigen sollen.

Artikel vom 04.08.2005