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Die fetten Jahre sind vorbei

Selbst Weltmeister müssen sparen - Lobinger bleibt die Ausnahme

Helsinki (dpa). Keine Millionäre, sondern Studenten, Bundeswehr- oder Bundesgrenzschutzangehörige und nur ganz wenige Profis reisen zu den am Samstag beginnenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften.

Die deutschen Vertreter der olympischen Kernsportart tun sich immer schwerer, ihre Lauf-, Sprung- und Wurfleidenschaft zu finanzieren. »Die fetten Jahre sind vorbei«, erklärt Kugelstoßer Ralf Bartels vor den Titelkämpfen, »die Verdienstmöglichkeiten sind extrem zurückgegangen.« Topverdiener wie Stabhochspringer Tim Lobinger mit sechsstelligem Jahressalär sind die Ausnahme.
»Den Leichtathletik-Millionär gibt es hier zu Lande nicht mehr«, sagt Siegfried Schonert, Athleten- und Veranstaltungsmanager beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV). Bartels als derzeit fünftbester Kugelstoßer der Welt hofft jede Saison, dass er nicht durch eine Verletzung finanzielle Einbußen erleidet. Der EM-Dritte ist noch relativ gut dran: Als Bootsmann bei der Marine ist er abgesichert, kann unter Profibedingungen trainieren.
Ein Großteil der WM-Teilnehmer ist bei der Bundeswehr oder - wie zum Beispiel die Olympia-Dritte im Hammerwerfen, Betty Heidler, - beim Bundesgrenzschutz. »Dadurch haben sie ein recht sorgenfreies Leben. Aber die Frage ist, was kommt nach dem Leistungssport«, erklärt Schonert.
Zu den Ausnahmen zählt Speerwerferin Steffi Nerius: Die Diplomsportlehrerin ist bei Bayer Leverkusen in der Behindertensportabteilung angestellt. Auch Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt gehört zu den wenigen Profisportlern. »Ich bin bei der Bundeswehr und habe tolle Sponsoren«, sagt die Ausdauerspezialistin von der LG Sieg.
Wer allerdings auf die Einkünfte von der Bundeswehr oder vom Bundesgrenzschutz angewiesen ist, kommt nach Einschätzung Schonerts im Monat kaum auf mehr als 2500 Euro. Kugelstoßer Bartels hat zwar noch ein paar Sponsoren wie ein Autohaus und eine Supermarktkette aber: »Im Winter kommt durch Wettkämpfe fast nichts rein, und ich muss am Jahresbeginn schon einiges aus dem zurückgelegten Bundeswehrgeld dazuschießen.« Die Zuwendungen von der Sporthilfe fließen in Trainingsmaßnahmen bzw. werden nur als Erfolgsprämien ausbezahlt. Auch Ausrüsterverträge beinhalten kaum Direktzahlungen.
Das Klagen ist oft groß im Kreis der Athleten. »Ich würde gerne sagen: Freibier für alle! Aber ich bin nur ein armer Hammerwerfer und kann mir das nicht leisten«, sprach Karsten Kobs nach seinem achten Titelgewinn bei deutschen Meisterschaften in Wattenscheid ins Mikrofon. Er tat dann vor Journalisten kund, dass er noch jemand suche, der ihn unterstütze, damit er bis zu den Olympia 2008 weitermachen kann. Nicht nur Kobs vertritt die Meinung, dass die Kanutin Birgit Fischer als erfolgreichste Olympiasiegerin Deutschlands »so viel verdienen müsste wie Michael Schumacher«.
Diskuswerfer Michael Möllenbeck, der WM-Dritte von 2001, und sein Wattenscheider Vereinskollege Marc Blume, seit vielen Jahren ein Topsprinter in Deutschland, stehen beruflich auf der Straße. Der kaufmännische Angestellte und der EDV-Fachmann fielen der Stellenstreichung beim Textilunternehmer Klaus Steilmann zum Opfer. »Es hat verdammt wehgetan, doch mittlerweile weiß ich, dass es weit schlimmere Schicksale gibt«, sagt Möllenbeck.

Artikel vom 05.08.2005