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Ein Tanzbär mit Pokerface

Kugelstoßer Ralf Bartels gewinnt Bronze mit dem letzten Versuch

Helsinki (dpa). 125 Kilo geballte Freude: Wie ein Tanzbär hüpfte Ralf Bartels durch den Innenraum des Olympiastadions von Helsinki, hielt die deutsche Fahne hoch und ballte die mächtigen Fäuste.

Worte brachte der Kugelstoßer vom SC Neubrandenburg nach dem Gewinn der Bronzemedaille zunächst kaum noch heraus. »Ich bin ziemlich sprachlos, und das ist selten bei mir«, sagte Bartels nach seinem größten Erfolg und gab zu: »Es sind auch Tränen geflossen.« Kurz vor dem Triumph hatte das Kraftpaket am ganzen Körper gezittert, ehe feststand, dass er mit seinem letzten Stoß auf 20,99 Meter auf Rang drei bleibt.
»Da ist mein Puls auf 200 hoch«, sagte der 27-Jährige, der am Samstagabend für das erste Edelmetall des deutschen Teams gesorgt hatte. So durfte Mitfavorit Christian Cantwell (USA) noch mal ran, machte aber einen ungültigen Versuch.
Bei Regenwetter kommt Bartels nicht nur als Bootsmann der Marine, sondern auch als einer der wenigen »Angleiter« im Kreis der Drehstoßtechniker eigentlich gut zurecht. Aber dieses Mal fand er mit 20,30 Meter und einem ungültigen Versuch nur schwer in den Wettkampf. Doch dann steigerte sich der EM-Dritte von 2002 kontinuierlich und lag am Ende zehn Zentimeter vor Olympiasieger Juri Bilonog aus der Ukraine. Der US-Amerikaner Adam Nelson, der nach jeweils zwei Mal Olympia- und WM-Silber, mit 21,73 Meter den Titel holte, und der Niederländer Rutger Smith (21,29) waren an diesem Tag nicht zu schlagen. Aber wer weiß: In den vergangenen Jahren ist in dieser Disziplin häufig ein Medaillengewinner wegen Dopings nachträglich disqualifiziert worden. »Da lassen wir uns überraschen«, sagte Bartels' Trainer Gerald Bergmann.
»Ich habe beim letzten Versuch alles auf eine Karte gesetzt und bin jetzt umso glücklicher«, meinte Bartels. »Das war der Lohn für ein Jahr Arbeit.« Und wohl auch das Ergebnis psychologischer Betreuung: Ebenso wie Diskuswerferin Franka Dietzsch wird er von Professor Willi Neumann von der Fachhochschule Neubrandenburg betreut. Dort macht er unter anderem ein Konzentrationsprogramm am Computer, wobei EKG und Hautleitfähigkeit gemessen werden. Normalerweise hat Bartels seine Nerven so im Griff, dass sein Puls nicht einen Tick ausschlägt, wenn vor einem Wettkampf sein Name im Stadion angesagt wird. Dieses Mal ging es nicht ohne Zähneklappern ab. »An der Nervosität scheitern auch gestandene Athleten«, erklärte Bartels später und atmete noch einmal tief durch.
Aber der Olympia-Achte mit dem Kämpferherzen hat noch andere Qualitäten, die ihn bis aufs WM-Treppchen geführt haben. »Er war in seinem Leben noch nie richtig verletzt«, sagte Bergmann. »Und er kann schnell verdrängen und vergessen: Wenn man ihn mal zusammenscheißen muss, dann ist er nach zehn Minuten wieder der Alte.« Wie man als Leistungssportler lebt, das hat Bartels vor allem seine Vereinskollegin Astrid Kumbernuss vorgelebt. »Der Astrid hat er viel zu verdanken«, sagte Bergmann über die Olympiasiegerin, die nicht mehr bei der WM dabei ist. Ein Sprücheklopfer ist sein Schützling nicht. »Von einer Medaille hat er mir gegenüber im Vorfeld nie gesprochen«, sagte sein Coach. »Aber er wäre unsagbar sauer gewesen, wenn es nicht geklappt hätte.«

Artikel vom 08.08.2005