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Ein greller Blitz - und die Stadt liegt in Trümmern

»Little Boy« lässt 70 000 verseuchte Menschen sofort sterben

Von Dirk Schröder
Hiroshima (WB). Blauer Himmel, hochsommerliche Temperaturen - die 350 000 Bewohner der japanischen Stadt Hiroshima freuen sich auf einen sonnigen und friedlichen Tag an jenem 6. August 1945. Das Ende des Zweiten Weltkriegs scheint auch in Japan nahe zu sein. Doch bereits um 8.15 Uhr am Morgen enden diese Träume abrupt.
»Ich würde es wieder tun«: Oberst Paul Tibbets, Pilot des Bombers.
Ein Superbomber B-29 der US-Luftwaffe klinkt über Hiroshima die erste Atombombe aus und verwandelt in Bruchteilen von Sekunden die Stadt in ein Inferno. An diesem Samstag jährt sich dieses Ereignis zum 60. Mal.
»Little Boy« nennen die Amerikaner pervers verharmlosend die verheerendste Massenvernichtungswaffe, die jemals eingesetzt worden ist. Mehr als 70 000 Menschen sterben auf einen Schlag, bis Ende 1945 erhöht sich die Zahl der Toten auf 140 000, und bis zum Jahre 1950 sind es bereits 200 000 Opfer. Nur drei Tage später wiederholt sich das Grauen in der Stadt Nagasaki. Dort sterben bis Ende Dezember 1945 etwa 70 000 Menschen nach dem Abwurf von »Fat Man«. Die genaue Zahl der Toten in beiden Städten wird sich wohl nie ermitteln lassen. Noch bis heute sterben Menschen an den Spätfolgen der Strahlung.
Eine dieser davon Betroffenen ist Midori Yamada. Im Alter von 34 Jahren bekommt sie Brustkrebs. Damals habe sie das nicht auf den Atombomben-Abwurf zurückgeführt, erzählt die heute 56-Jährige. Erst viel später kommt ihr dieser Verdacht. Ihr Vater ist vor 60 Jahren unmittelbar nach der Explosion nach Hiroshima geeilt, um dort in der verseuchten Stadt nach Freunden zu suchen.
Yamada gehört zur zweiten Generation der japanischen Atombombenopfer. Heute ist bekannt, dass die Kombination aus Hitze, Druck und Strahlung bei den direkten Opfern zu Wachstumsstörungen, frühzeitigem Altern, zu Schädigungen des zentralen Nervensystems und ungeborenen Lebens geführt haben. Es gibt jedoch keine gesicherten Beweise dafür, dass die Atombomben auch bei den Nachkommen Schäden bewirkten. Daher werden sie nicht als Opfer anerkannt und haben weder Anspruch auf kostenlose medizinische Untersuchungen noch auf finanzielle Hilfe.
Aber zurück zum 6. August 1945. Die 13-jährige Miyoko Tando steht am Fenster, ihr Vater arbeitet im Garten. »Ich sah ein grelles blau-weißes Licht. Dann wurde ich bewusstlos«, erinnert sich die Japanerin 60 Jahre später. Als Miyoko erwacht, zieht ihr Vater sie gerade aus den Trümmern ihres Hauses. Dann verdunkelt sich der Himmel. Schwarze Regentropfen, an denen radioaktive Asche klebt, fallen herab und verseuchen die ahnungslosen Menschen. Drei Tage nach der Explosion muss sie mit ansehen, wie ihre kleine Schwester und auch ihr Vater sterben.
Aber alle Augenzeugen, die versuchen das Unvorstellbare in Worte zu fassen, können die grauenhaften Bilder nur unvollständig beschreiben. 90 Prozent aller Gebäude wurden im Umkreis von 13 Quadratkilometern infolge der Explosion zerrissen. Wer in dieser atomaren Apokalypse die ersten Stunden überlebt, versucht aus der Stadt zu kommen. Jene, die sich in der Nähe des Epizentrums aufgehalten haben, bleiben zurück, die meisten tot oder schwer verletzt, Opfer von Verbrennungen und Verstrahlungen.
Ihre erste Atombombe haben die Amerikaner am 16. Juli über der Wüste von New Mexiko gezündet, vorläufiger Höhepunkt des streng geheimen Rüstungsprojekts »Manhattan Projekt«.
Der amerikanische Präsident Harry S. Truman weilt gerade mit Winston Chrchill und Josef Stalin in Potsdam, um über die Nachkriegsordnung für Europa zu sprechen, als ihn die Nachricht vom erfolgreichen Test erreicht: »Babys problemlos geboren«, lautet die verschlüsselte Nachricht. Nur wenige Tage später befiehlt Truman der Luftflotte im Pazifik, möglichst bald die »Spezialbombe« abzuwerfen.
Noch bis heute hält der Historikerstreit an, ob die Atombombe den Krieg verkürzt hat, oder ob es ein Kriegsverbrechen war. Befürworter des Abwurfs argumentieren, dass die Bombe die direkte Folge der japanischen Aggression sei, nachdem das Kaiserreich ganz Ostasien überrannt hat. Kritiker werfen Truman vor, Adressat der Bomben sei weniger Tokio als Moskau gewesen. Washington habe eine Drohkulisse aufbauen wollen, um der aggressiven russischen Politik etwas entgegensetzen zu können.
Truman selbst rechtfertigt später den Abwurf der Atombomben mit den Opfern, die eine Landung in Japan gefordert hätte. »Ich habe so das Leben von einer halben Million unserer Jungs gerettet.«
Die Crews des Bombergeschwaders, die am 4. August 1945 in den Besprechungsraum gerufen wurden, machen sich darüber keine Gedanken. Was für eine Bombe sie da transportieren sollen, verrät ihnen ihr Kommandeur, Oberst Paul Tibbets, nicht. Nur, dass ihr »Baby« den Krieg um mindestens ein halbes Jahr verkürzen werde.
Als Tibbets, der die Atombombe als Pilot des B-29-Bombers, der den Namen »Enola Gay« trägt, über Hiroshima ausklinkt, später gefragt wird, ob er es nicht bereue, für den Tod zigtausender Menschen verantwortlich zu sein, antwortet er: »Ich habe nie bereut und mich nie geschämt, denn ich glaubte damals, dass ich meine patriotische Pflicht tat, als ich den Befehlen folgte, die man mir gab.« Noch vor drei Jahren sagte der heute 90-Jährige in einem Interview: »Ich würde nicht zögern, wenn ich noch einmal die Wahl hätte.«

Artikel vom 03.08.2005