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»Auf der Stahlplatte ans
Designer-Bett gefesselt«

Barmer verweigert neuen Schaft für alte Bein-Prothese

Von Gerhard Hülsegge
(Text und Fotos)
Bielefeld (WB). Muss ein Mensch nach einer Beinamputation auf die Bezahlung einer Prothese verzichten, weil die gesetzliche Krankenkasse der Meinung ist, dass sich seine Mobilität nur so weit wieder herstellen lässt, dass er im Rollstuhl sitzen kann? Diese Frage wird demnächst vermutlich das Sozialgericht in Detmold beschäftigen.

Denn Hans Ihsen (61) aus Bielefeld hat über seinen Anwalt Klage vorbereitet gegen die Barmer (Ersatzkasse - BEK). Der frühverrentete ehemalige Akquisiteur von Kfz-Ersatzteilen, Werkzeugen und Maschinen leidet unter fortgeschrittenem Rheuma und Arthrose und ist seit fünf Jahren ans Bett gefesselt. Im Jahr 2000 wurde ihm der rechte Unterschenkel abgenommen. Die Prothese, die ihm von den Städtischen Kliniken mit nach Hause gegeben wurden, kann er nicht mehr benutzen, weil der Schaft, auf den das Knie gestützt werden müsste, inzwischen zu klein ist. »Der Stumpf verändert sich im Leben eines Menschen«, sagt Ihsen, der sich im Sommer gerne auch mal auf die Terrasse setzen oder selbständig auf die Toilette gehen würde. Momentan ist er komplett auf medizinische Pflegedienste und auf fremde Hilfe angewiesen; Rollstuhl und Krücken stehen in der Ecke.
Im Wohnzimmer sind Sekretär, Schrank und Sitzgruppe nur abgestellt und verwaist. »Wenn er schreit, komme ich«, berichtet Angelika Preußer. Die Inhaberin eines Schreibbüros kennt Hans Ihsen noch aus Zeiten, als die Erbkrankheit bei dem verwitweten Vater von zwei Kindern noch nicht zum Durchbruch gekommen war. Weil Ihsen die Wohnungstür nicht öffnen kann, kommt sie am Delgenkamp im Ortsteil Sieker durch das Fenster zu Besuch - wie der Pastor auch.
Was den vierfachen Großvater am meisten ärgert: Die BEK hat ihm zwar ein (5500 Euro) teures Bett Marke »Dekubitus de Luxe« in SLC-Ausführung zuerkannt. Die 1800 Euro für den Ersatzschaft will sie aber nicht zahlen. Dafür hat das »Design-Bett« eine Stahlplatte - »ich liege auf den Sitzkantschrauben«, klagt der Patient. Und: Er soll abspecken! 110 bis 130 Kilo Gewicht seien zu viel, heißt es im Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK). »Dabei hat mich keiner gewogen«, schimpft Ihsen, der sich die Zeit mit Bier, Fernsehen, Singen, Pfeifen und Beten vertreibt.
Die Barmer fühlt sich im Recht, wenn sie Hans Ihsen den Schaft zur Prothese verweigert, und will es auf den Prozess ankommen lassen. »Die Prothese wurde auch vorher nicht getragen, und der Medizinische Dienst geht in seinem Gutachten davon aus, dass die Mobilität bei Herrn Ihsen nur insoweit wieder hergestellt werden kann, dass er sich im Rollstuhl fortbewegt«, erklärte Bernhard Hülsmann, stellvertretender Regional-Geschäftsführer der Barmer, auf Anfrage. Nicht umsonst habe Ihsens Hausarzt seine Verordnung (pro neuem Schaft) vom März im Mai wieder zurückgezogen.

Artikel vom 05.08.2005