30.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Entsalzen und entrosten

Rathaus-Fialen werden restauriert - Sandstein angegriffen

Bielefeld (WB/mzh). Nanu, ein Kran vorm Rathaus? Ist es nicht das Theater nebenan, das umgebaut wird? Schon richtig, aber auch der Sandstein, aus dem 1904 das Rathaus erbaut wurde, hält nicht ewig. Also: runter mit den Fialen!

Fialen? So nennt der Architekt die spitz auslaufenden Türmchen aus gemeißeltem Stein, die in der Gotik (und in der um 1900 beliebten Neugotik) Giebel und Portale überhöhten. So eine Fiale reckt sich, erstens, um der lieben Ästhetik willen gen Himmel, dient aber, zweitens, auch profanen statischen Zwecken: Sie stabilisiert das Gebäude durch ihr Gewicht.
Jedenfalls in der mittelalterlichen Gotik. In der Neugotik der Moderne konnten die Baumeister die Statik gottlob bereits berechnen - auch ohne Fialen wäre das Bielefelder Rathaus natürlich nicht zusammengekracht.
Andererseits fällt so eine Fiale (vom italienischen foglia - Nadel) schon mal runter. So geschehen im vergangenen Jahr, neben dem Eingang zum »Irish Pub«. Nun fängt, wer ins Guinness-Glas zu schauen gedenkt, höchst ungern stürzende Gebäudeteile auf, und so überprüften Steinmetze damals die Nadeltürmchen unter sicherheitstechnischen Aspekten. Diesmal allerdings sind für das Erscheinen des Krans am Niederwall rein konservatorische Gründe ausschlaggebend. Safety first - jetzt kommt die Schönheit zu ihrem Recht.
Am Montag beginnt die Arbeit: Aus 35 Metern Höhe senkt der Kranführer die Fialen auf den Rathausvorplatz ab. Am Boden werden Schäden im Sandstein ausgebessert. Vor allem müssen die verrosteten eisernen Verklammerungen der Einzelbauteile gegen Edelstahlbolzen ausgetauscht werden. Diese Maßnahmen werden wohl zwei Wochen in Anspruch nehmen. Danach geht's wieder hinauf in luftige Höhen.
Und bevor die Experten nutzlos schattenwerfend auf dem Vorplatz herumstehen, rücken sie lieber gleich der Sandsteinmauer zwischen Rathaus und Theater zu Leibe. Im Bereich des Durchgangs haben die Quader arg unter der Witterung gelitten; sie werden nun entsalzt und, in hoffnungslosen Fällen, ganz ausgetauscht.
Auf dass sich das Wort Gerhard Bunnemanns (Bürgermeister 1881 bis 1910) erfülle, der da sprach: »Möge ein Haus erwachsen nach seinen baulichen Formen in schönem Verhältnis und Ebenmaß!«

Artikel vom 30.07.2005