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Der Säugling wimmerte
in der Apfelsinenkiste

Sensoren in Babyklappe lösen bei Helfern Alarm aus

Von Dietmar Kemper und
Wolfgang Wotke (Foto)
Gütersloh/Hüllhorst (WB). »Da wimmerte etwas und ich dachte, es seien Katzen«, erinnert sich Christoph Eppelt. Gegen 4 Uhr in der Nacht hatte jemand am Pfarrheim geschellt und eine Apfelsinenkiste vor der Tür abgelegt. Als Eppelt nachschaute, fand er »ein kleines Würmchen, eingewickelt in ein Frotteehandtuch«.

Den 21. Oktober 1983 wird der pensionierte Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde Heilige Familie in Gütersloh-Blankenhagen nie vergessen. »Aus dem kleinen Würmchen ist ein 22-jähriger Industriekaufmann geworden«, erzählte Eppelt am Freitag dieser Zeitung. Wer die leiblichen Eltern sind, wisse man bis heute nicht, aber sie hätten ihr Kind nicht verantwortungslos ausgesetzt. »In einem Brief, der in der Apfelsinenkiste steckte, bedauerten die Eltern, das Kind nicht großziehen zu können und baten darum, gute Eltern zu finden«, berichtete Eppelt (72).
Das Kind vor seiner Tür wurde für den Pfarrer zum Schlüsselerlebnis: Fortan setzte er sich für eine Babyklappe am Pfarrhaus ein, die kurz vor seiner Pensionierung 2002 eingeweiht wurde. »Babyklappen können Leben retten«, mahnt Eppelt. Auch der Junge, der am Dienstag abend nur wenige Kilometer entfernt auf dem Sortierband der Recycling-Firma Reiling in Harsewinkel-Marienfeld entdeckt wurde, könnte noch atmen, wenn ihn seine Eltern anonym abgegeben hätten.
Fünf Babyklappen gibt es in Ostwestfalen-Lippe. In Hüllhorst (Kreis Minden-Lübbecke) hat Annette Tietze in dieser Woche »Klappendienst«. Wenn ein Säugling im »Babykörbchen« im Ortsteil Ahlsen abgelegt wird, erfährt sie das als erste. Berührt der Körper des jungen Erdenbürgers die Sensormatte, wird ein Impuls ausgelöst, der Tietzes Telefon klingeln lässt.
»Drei Kinder wurden uns bislang anvertraut«, erzählt Tietze, die sich den Dienst mit vier weiteren Frauen teilt. Am 1. Advent 2000 bekamen ungewollte Babys ihr Körbchen. Die Freie Christen Gemeinde Eickhorst rief das Projekt ins Leben und tut trotzdem alles, damit das Körbchen verwaist bleibt. »Wir informieren schwangere Frauen über staatliche Hilfen und bieten ihnen eine kostenlose Babyausstattung an«, berichtet Tietze.
Entschieden sich die Frauen dennoch dazu, sich vom Nachwuchs zu trennen, sei die anonyme Babyklappe besser als die Abtreibung. »Einem toten Kind kann ich nichts mehr erklären«, mahnt die Anwältin für das Leben. Auch das Hauptargument der Gegner von Babyklappen, der Junge oder das Mädchen habe das Recht, seine Herkunft zu erfahren, weiß sie zu entkräften: »Wer nicht lebt, kann kein Recht wahrnehmen.«
Nicht selten wissen schwangere Frauen in Notlagen gar nichts von den Babyklappen. »Wir haben viel Reklame gemacht und in allen Arztpraxen und Apotheken Informationen ausgelegt«, erzählt Ordensschwester Simone. Sie kümmert sich mit dem eingetragenen Verein »Moses Babyfenster« um die Klappe gegenüber vom Vincenz-Krankenhaus in Paderborn. Im Herbst 2004 wurde ein Kind abgegeben. Als eine Mutter das Fenster berührte, ging der Alarm. Was die Schwestern ärgert, sind die Fehlalarme, die aus Jux in der an der Hauptstraße liegenden Babyklappe ausgelöst werden. »In einem Monat waren es 17«, beklagt Schwester Simone.

Artikel vom 30.07.2005