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Großer Friede auf dem Grünen Hügel

Premierenwoche bei den Bayreuther Festspielen verlief recht entspannt

Von Stephan Maurer
Bayreuth (dpa). »Nur mittelmäßige Aufführungen können mich retten«, schrieb Richard Wagner 1859 über seinen »Tristan« an Mathilde Wesendonck. »Vollständig gute müssen die Leute verrückt machen.«

So mochte es sogar dem Wohle der Bayreuther Festspielbesucher dienen, dass die Neuinszenierung von »Tristan und Isolde« noch nicht der ganz große Wurf war. Aber trotz mancher Kritik kann Festspielchef Wolfgang Wagner entspannt auf die Premierenwoche zurückblicken. Denn wer in diesem Jahr Skandale oder auch nur Skandälchen suchte, der suchte vergeblich. So friedlich war es lange nicht mehr am »Grünen Hügel«.
Besonders deutlich wird dies am Beispiel von Christoph Schlingensiefs »Parsifal«, der den Premierenzyklus am Freitag beschließen sollte. So groß die mediale Aufregung 2004 gewesen war, so still ist es im zweiten »Parsifal«-Jahr. Lautlos gingen die Proben über die Bühne, Schlingensief blieb unbehelligt - welch Gegensatz zum Vorjahr, als der Provokateur die Öffentlichkeit suchte.
Freilich, »Tristan«-Regisseur Christoph Marthaler ist das genaue Gegenstück zum Medienprofi Schlingensief. Kein einziges Mal äußerte er sich öffentlich zu seiner Sicht des Stücks. Die - nicht immer überzeugend umgesetzte - Idee vom allmählichen Verlöschen der Charaktere stieß beim Publikum auf große Skepsis. Es gehört sicher zu den Verdiensten von Festspielchef Wagner, dass er nach wie vor solch sperrige Deutungen wie Marthalers »Tristan« oder auch Claus Guths »Der fliegende Holländer« zulässt. Denn es gibt durchaus Stimmen, etwa im Kreis der Mäzene »Freunde von Bayreuth«, die unverhohlen für ihr Geld leicht Konsumierbares nach dem Beispiel des farbenfrohen »Tannhäuser« fordern, der am Donnerstagabend bejubelt wurde.
Noch kann Wagner solche Wünsche dank seiner Autorität mühelos abwehren. Zur Nachfolgefrage äußert er sich weiterhin nicht.
Auch Tochter Katharina, seine Favoritin für die künftige Festspielleitung, weicht entsprechenden Fragen routiniert aus. Die Festspiele ohne den »Mythos« der Familie Wagner - das scheint undenkbar. Dass dieser Mythos lebendig ist, dafür gibt es viele Belege. Noch immer kommen die Sänger für deutlich weniger Geld, als sie anderswo erhalten. Die meisten äußern sich begeistert. »Ein Traum wurde wahr«, sagt »Tristan«-Dirigent Eiji Oue.
Künstlerisch erwies sich Bayreuth in der Premierenwoche zwar nicht gerade als die Avantgarde der modernen Wagner-Deutung. Doch musikalisch war vieles erstklassig: Christian Thielemanns »Tannhäuser«-Dirigat etwa, die Sänger Stephen Gould (Tannhäuser) und Roman Trekel (Wolfram) im selben Stück sowie Robert Dean Smith und Nina Stemme, die als Tristan und Isolde vielleicht ein neues Bayreuther Traumpaar werden können. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass etliche Sänger aus der zweiten Reihe ihren Zenit überschritten haben. Es wird spannend zu beobachten sein, ob im »Ring« 2006 hier die nötige Auffrischung erfolgt. Die Proben für das gewaltige Werk, das der Dramatiker Tankred Dorst inszeniert, laufen im August an.

Artikel vom 30.07.2005