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»Freie Wanderbücher«
auf der Sparrenburg

Bookcrosser-Gemeinde hat mehr als 24 000 Mitglieder

Von Caroline Carls
und Carsten Borgmeier (Foto)
Bielefeld (WB). Inmitten des bunten Treibens des beliebten Sparrenburgfestes finden sich am Wochenende drei Menschen zusammen, die ungewöhnlich viel Gepäck mit sich tragen. Beim genaueren Hinsehen lassen sich Bücher rund ums Thema Mittelalter erkennen. Vom neuesten Bestseller bis zum alten Schmöker ist alles dabei. Rund fünfzig sind es insgesamt. »Wir lassen Bücher frei«, lautet die schlichte Erklärung von Friedholf Ossyssek.

Seit Anfang Oktober 2003 ist der 44-jährige Bielefelder begeisterter Bookcrosser. Gründer dieser modernen Form der weltweiten Flaschenpost ist der Amerikaner Ron Hornbaker, der vor etwa vier Jahren auf die Idee kam, Bücher in die Freiheit zu entlassen und so eine Art freien Buchclub aufzubauen.
»750 Bücher habe ich in den vergangenen zwei Jahren freigelassen, 20 habe ich zum Sparrenburgfest mitgebracht«, verrät Friedholf Ossyssek, der unter dem Nickname hank_chinaski im Internet in Erscheinung tritt.
Das Internet dient für die Leseratten als Mittler. Unter www.bookcrossing.com kann jeder Interessierte seine Bücher registrieren und mit einer Identifikationsnummer (BCID) versehen. Anschließend können die ausgemusterten Schinken oder auch die Lieblingsschmöker »ausgewildert« werden.
»Über das Bookcrossing kann ich interessante Bücher auch anderen Leuten zugänglich machen«, erklärt Ossyssek seine Faszination. »Es schwingt aber auch ein wenig Romantik des Nicht-Kommerziellen mit: Beim Bookcrossing muss man kein Geld für gute Literatur zahlen.«
Bei der Wahl der Orte sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt: auf der Parkbank, in Telefonzellen, Cafés oder Kneipen - überall dort, wo Menschen kommen und gehen. »Der Reiz liegt für mich darin, dass das Buch auf Reisen geht«, sagt die 29-jährige Daniela Wegmann, die seit knapp einem Jahr als Bookcrosserin unterwegs ist. Auch sie hat einen Stapel Bücher neben sich liegen. »Es ist spannend zu sehen, wo die eigenen Bücher landen«, versichert sie. Am Wochenende während des Sparrenburgfestes konnten sich die Besucher über Bücher mit der Aufschrift »Freie Wanderbücher« wundern. Gesehen wurden sie zum Beispiel in Körben des Korbflechters, bei dem orientalischen Café oder auch in dem Turm der Sparrenburg.
Aber auch das Jagen gehört zum Bookcrossing. Unter der Rubrik »Go Hunting« findet man im Internet die Orte, an denen die Lektüre zu finden ist. Allein in Bielefeld liegen zur Zeit 70 »freie« Bücher an 20 Orten, darunter am Hauptbahnhof, im Ravensberger Park, in der Gaststätte »Neue Börse« - sogar bei Ikea hat jemand seine Bücher abgelegt. Der Weg eines Buches lässt sich auf der Homepage anhand der registrierten Nummer nachvollziehen. »Der Rücklauf liegt momentan leider nur bei zehn bis zwanzig Prozent«, erzählt Friedholf Ossyssek, »aber auch ohne Rückmeldung freue ich mich, wenn ein Buch einen Leser gefunden hat.«
Mehr als 24 000 Bücherfans sind mittlerweile in Deutschland registriert, rund 200 davon in Bielefeld. Weltweit gibt es mehr als zwei Millionen registrierte Bücher.
Bookcrosser müssen eine spezielle Beziehung zu Büchern haben. Die Motivation pendelt wohl zwischen Idealismus und einer Art des sportlichen Hobbies. »Wir sind Bücher-Junkies«, gibt Ossyssek zu und nimmt ein Buch, um es inmitten der Gaukler und Trödler des Sparrenburgfestes freizulassen.

Artikel vom 02.08.2005