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Rechtsextreme Parole nicht strafbar

Zentralrat der Juden nennt Bundesgerichtshof-Urteil »unglaublich«

Karlsruhe (dpa). Die Verwendung der unter Rechtsextremisten üblichen Parole »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« ist nicht strafbar. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe gestern entschieden.
Paul Spiegel: »Ein unglaubliches und nicht nachvollziehbares Urteil.«
Nach dem Urteil bleibt der Gebrauch vergleichbarer Fantasieparolen, die von NS-Organisationen nie verwendet wurden und nur »nationalsozialistisch klingen«, im Regelfall straflos. Das Gericht sprach drei Angehörige der rechtsradikalen »Karlsruher Kameradschaft« frei. Sie hatten die Parole als Grußformel auf dem Anrufbeantworter eines »Nationalen Infotelefons Karlsruhe« benutzt. Das Landgericht Karlsruhe hatte sie im Oktober 2004 zu Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt.
Nach den Worten des 3. BGH-Strafsenats ist die entsprechende Formel nicht mit einer Originalparole aus der Nazizeit identisch. Zudem bestehe weder eine Verwechslungsgefahr mit dem Motto der Hitlerjugend »Blut und Ehre« noch mit dem damaligen Leitspruch der Waffen-SS »Unsere Ehre heißt Treue«. Die Verwendung von »Ersatzkennzeichen«, die Symbolen oder Losungen aus der Nazizeit »zum Verwechseln ähnlich« sind, war 1994 durch eine Gesetzesverschärfung nach Paragraf 86a Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt worden.
Zwar kann dem Urteil zufolge die Verwendung von Formeln, die lediglich den Anschein einer Naziparole erwecken, unter besonderen Voraussetzungen strafbar sein. Sie könnten etwa als Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder als Volksverhetzung eingestuft werden, sagte der Senatsvorsitzende Klaus Tolksdorf bei der Urteilsverkündung.
In diesem Fall jedoch komme keine dieser Vorschriften in Betracht, so dass die Angeklagten freigesprochen werden müssten. »Ein solches Ergebnis mag man als misslich empfinden«, räumte Tolksdorf ein. Allerdings müsse sich der BGH an den »absolut klaren, eindeutigen Wortlaut« des Paragrafen 86a halten. Danach müsse zwischen der Originalparole aus der Nazizeit und der von heutigen Rechtsextremisten verwendeten Losung eine objektive Übereinstimmung in wesentlichen Punkten gegeben sein.
Zwar räumte der Richter »gewisse Ähnlichkeiten« beim Wortklang zwischen dem Hitlerjugend-Motto »Blut und Ehre« und der Grußformel der Kameradschaft ein. Zugleich bestünden aber »deutliche Unterschiede«: Während das Hitlerjugend-Motto ein Treuebekenntnis von Angehörigen der damaligen Organisation gewesen sei, müsse »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« als Aussage eines Außenstehenden gewertet werden, der der Nazi-Organisation Ruhm und Ehre zuerkennen wolle.
Die Bundesanwaltschaft hatte in der Verhandlung gestern eine Bestrafung der Angeklagten gefordert. Nach den Worten von Bundesanwalt Joachim Lampe muss entscheidend sein, ob eine Parole nach Form und Inhalt authentisches nationalsozialistisches Gedankengut transportiere.
Als »unglaublich« hat der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul Spiegel, das Urteil bezeichnet. Eine derartige Entscheidung sei für ihn nicht nachvollziehbar, sagte Spiegel. »Wenn man sich vor Augen führt, wann diese Parolen entstanden sind, kann man sich auch leicht vorstellen, welche Gefühle damit bei den überlebenden Opfern des Nazi-Terrors verletzt werden.«
Politiker der rot-grünen Koalition haben sich zurückhaltend geäußert. Bundesjustizministerium und Bundesinnenministerium wollten das Urteil nicht kommentieren.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, sagte: »Mir gefällt das nicht, aber juristisch wird man das respektieren müssen.« Der BGH habe den Aspekt der Meinungsfreiheit sehr hoch gehalten. Er, Wiefelspütz, sei sich aber sicher, dass die Richter nicht einer Verharmlosung der Waffen-SS hätten Vorschub leisten wollen.

Artikel vom 29.07.2005