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Das Problem nicht im Griff

Katerstimmung bei der NASA - Auch deutsche Raumfahrtpläne gehemmt

Houston/Köln (dpa). Enttäuschung, Rückschlag, Prestigeverlust: Nach dem ersten Jubel über den »Bilderbuchstart« der Raumfähre »Discovery« macht sich bei der US-Raumfahrtbehörde NASA Katerstimmung breit.

Programmdirektor Bill Parsons zog die Notbremse und verordnete den drei Space-Shuttle ein vorläufiges Startverbot, nachdem wieder ein großes Stück Schaumstoff vom Außentank der Raumfähre abgebrochen war. Damit ist die Diskussion über die Zukunft des Shuttle-Programms, den weiteren Ausbau der internationalen Raumstation ISS und die Rettung des alternden Weltraumteleskops »Hubble« neu entfacht worden.
Zweieinhalb Jahre habe die NASA nach dem tödlichen Absturz der Raumfähre »Columbia« darum gekämpft, ihr Prestige und ihre Kompetenz wieder herzustellen, schreibt die »Washington Post«. Mehr als 1,4 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro) investierte die Weltraumbehörde in einen modifizierten Außentank.
Es sei »unzweifelhaft der sicherste und verlässlichste Tank, der je gebaut wurde«, zeigte sich die NASA vor dem Start optimistisch. Nach dem Start steht fest, dass die Techniker das wichtigste Problem und größte Sicherheitsrisiko - nämlich sich lösenden Isolationsschaum - nicht in den Griff bekommen haben. Selbst Parsons weiß zurzeit nicht, ob die Nachbesserungen Wochen oder Monate dauern werden. Nach dem neuen Flop wird NASA-Direktor Michael Griffin schon bald den Ausschüssen im US-Kongress Rede und Antwort stehen müssen.
Ursprünglich sollten die drei Shuttle »Atlantis«, »Discovery« und »Endeavour« bis zu ihrer Ausmusterung im Jahr 2010 noch 28 Mal zur ISS fliegen. Schon vor dem Start der »Discovery« sagte Griffin, dass diese Zahl illusorisch sei. Nach dem neuen vorläufigen Flugstopp wird die NASA mit ihren Partnern, darunter der europäischen ESA, klären müssen, wie es mit dem geplanten Ausbau der ISS weitergeht. Am Ende könnte die ISS möglicherweise kleiner und weniger leistungsfähig ausfallen. Auf jeden Fall müssten die Abkommen mit den Partnern neu verhandelt werden.
Kritiker des Shuttle-Programms in den USA sagen seit langem, dass die in den beiden letzten Jahrzehnten in Dienst gestellten Raumfähren den Zenit ihres Lebens längst überschritten haben und weitere Investitionen Geldverschwendung seien.
Sie favorisieren die möglichst rasche Entwicklung einer neuen Generation von Raumfähren. Diese Nachfolgegeneration soll nicht nur den erdnahen Orbit, sondern auch den Mond, Mars oder noch weiter entfernte Himmelskörper ansteuern können.
Die Aussetzung aller Space-Shuttle-Flüge durch die NASA hemmt nach Einschätzung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) auch deutsche Pläne. »Für uns ist die Verschiebung der weiteren Space-Shuttle-Flüge natürlich sehr problematisch, denn wir sind mit dem Astronauten Thomas Reiter, der im September zur ISS starten sollte, unmittelbar betroffen«, sagte DLR-Vorstandsvorsitzender Prof. Sigmar Wittig.
Reiter sollte im Herbst als erster Deutscher zu einem ISS-Langzeitaufenthalt starten. Da er an Bord des US-Shuttle »Atlantis« fliegen sollte, sei der Starttermin nun ungewiss.
Das vorläufige Aussetzen aller weiteren Shuttle-Flüge sei organisatorisch, wie auch wissenschaftlich-technisch tückisch, bedauerte der DLR-Vorstandsvorsitzende. Er sei aber optimistisch, dass der aktuelle Schaden an der »Discovery« bei einem Außeneinsatz im All behoben werden könne und die Crew an Bord der Raumfähre wieder auf der Erde landen werde.

Artikel vom 29.07.2005