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1500 Beamte mehr auf Streife

Polizeigewerkschaft fordert den Ausbau der Videoüberwachung

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Auch ohne Verringerung der 49 Präsidien und Kreispolizeibehörden können deutlich mehr Polizisten als jetzt Kriminalität bekämpfen und für Sicherheit auf den Straßen in Nordrhein-Westfalen sorgen. Das hat der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, in Bielefeld betont.

»Ohne Neuorganisation werden wir in den nächsten zwei Jahren mindestens 1500 Polizisten durch Einstellung sinnloser Aufgaben für die eigentliche Arbeit freistellen«, sagte Wendt. Im Polizeipräsidium Bielefeld besprach er mit dessen Leiter Erwin Südfeld Inhalt und Auswirkungen des Koalitionsvertrags von CDU und FDP.
Rainer Wendt wies die Kritik des SPD-Innenexperten Ralf Jäger zurück: Der hatte am Mittwoch die Verkleinerung der 49 Polizeibehörden auf 16 gefordert, um mehr Beamte für Streifendienst und Kriminalitätsbekämpfung einsetzen zu können. »Die Behörden sollen so bleiben wie sie sind«, konterte Wendt und sagte: »Wir haben gerade andere Dinge zu tun, als fünf Jahre lang die Organisation neu zu gestalten.«
Vor zehn Jahren habe die SPD-Landesregierung damit begonnen, Führungsstrukturen aus der freien Wirtschaft auf die Polizei zu übertragen. Mitarbeiter in Controllingbüros und Qualitätszirkeln hätten intern »Datenfriedhöfe gigantischen Ausmaßes« angelegt und seien gleichzeitig für den Dienst am Bürger ausgefallen.
Wendt begrüßt deshalb die Entscheidung der neuen Landesregierung ausdrücklich, das Projekt »Steuerung und Führung« zu stoppen. Dadurch blieben den Polizisten zum Beispiel die zweifelhaften »Rückmeldeworkshops« erspart, in denen zeitaufwändig Probleme der Kollegen und Ergebnisse aus Befragungen besprochen würden. Um die verfehlten, von Rot-Grün installierten Organisationsstrukturen zu überwinden, werde die Polizei die ganze Legislaturperiode brauchen, sagte Wendt dieser Zeitung.
Dabei gebe es weiß Gott nicht nur interne Probleme. »Funkgeräte sind teilweise älter als die Kollegen, und bis zur Fußball-Weltmeisterschaft werden wir keinen Digitalfunk bekommen«, beklagte Wendt Mängel bei der Ausstattung.
Funktechnisch sei die Polizei in Nordrhein-Westfalen »auf dem Stand von Albanien«. Wendt forderte die Ausweitung der Videoüberwachung. Sie erhöhe das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen und wirke vorbeugend, weil potenzielle Straftäter damit rechnen müssten, gefilmt zu werden. Außerdem habe sich bei den Terroranschlägen in London gezeigt, dass Videoüberwachung geeignet ist, Fahndung zu betreiben. In London gebe es mehr als 14 000 Kameras, und auch in Deutschland müsse es möglich sein, öffentliche Plätze und Wege sowie Großveranstaltungen im Blick zu behalten. Wendt warnte vor falschen Schlussfolgerungen: »Wenn ein Kriminalitätsschwerpunkt dank Videoüberwachung keiner mehr ist, sollten die Kameras nicht abgeschaltet werden. Sonst wird es wieder ein Schwerpunkt von Verbrechen.«
Wendt begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mittwoch, wonach in Niedersachsen das vorbeugende Abhören von Telefonen ohne konkreten Tatverdacht mit dem im Grundgesetz geschützten Fernmeldegeheimnis unvereinbar ist. »Dass Menschen nur auf Verdacht hin überwacht werden, ist rechtsstaatlich zweifelhaft«, erklärte Polizeigewerkschaftschef Rainer Wendt.

Artikel vom 29.07.2005