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Ich murmelte etwas in mich hinein.
»Das ist wahr! So heißt es in der Sage. Wild und lockig. Und alle fanden sie wunderbar. Glaubst du mir?«
»Nein.«
»Kein einziges Wort gelogen, Miss Jones. Frag Mrs. Maddox, sie wird es dir bestätigen. Also denk immer an Olwen. Kümmere dich nicht um das, was andere sagen. Deine Haare sind wunderschön, sie passen zu dir.«
Als wir den Hof erreichten, fragte ich, wie alt er sei.
Ich wusste nicht, wie die Antwort lauten würde. Und genau genommen spielte es keine Rolle. Es würde nichts ändern. »Ich? Ich bin ein alter Mann, Evie.«
Ich wusste, dass er log. Alte Leute sahen nicht aus wie er.
»Fast vierundzwanzig«, sagte er sanft. »Siehst du? Alt.«
Ich sah zu, wie er die Stiefel von den Beinen schüttelte, seine Jacke an den Haken neben Samuels eichener Eingangstür hängte, und rechnete es mir aus. Sechzehn Jahre bedeuteten mir nichts. Ich wusste nur eines - dass Wales viel schöner geworden war, seit es Daniel hier gab.

In dieser Nacht hockte ich auf dem Treppenabsatz in der Dunkelheit und horchte auf die Stimmen in der Küche.
»Verdammter Kerl«, zischte meine Großmutter. »Für wen zum Teufel hält er sich?«
Das Scheppern von Geschirr, das Kratzen eines Stuhls. »Sie hat nichts mitbekommen. Ich hab sie rausgeschickt«, sagte Daniel.
»Aber die Unverschämtheit von dem Mann! Die Unverschämtheit, so etwas von einer Achtjährigen zu sagen! In ihrem Zustand! Ist der Kerl verrückt? Ist er wirklich und wahrhaftig verrückt? Den knöpf ich mir morgen vor.«
»Das ist nicht nötig.«
»Und wie nötig das ist. Es geht um meine Enkelin! Um Brons Kind, und ich werde nicht zulassen, dass dieser finstere Idiot schlecht über sie redet. Wenn er morgen früh aufschließt, bin ich da. Und wenn nötig, schlage ich vor seiner Tür mein Lager auf.«
Als das Stimmengemurmel versiegte, schlüpfte ich wieder ins Bett, drückte Hund an meine Brust und ringelte mich um ihn herum zusammen. Nicht ihre Schuld. Das hatte ich Daniel sagen gehört, als ich aus dem Laden trottete. Aber was war nicht meine Schuld? Der Tod meiner Mutter? Meine blauen Augen? Es war zu früh, um es zu wissen.
Während ich, am Rand des Schlafes, diese Gedanken in meinem Kopf siebte, wie meine Großmutter Mehl siebte, hörte ich ein Geräusch von draußen. Nicht von einem Schaf und auch nicht von den Rindern. Auch nicht von einem Hund. Was dann? Ich wälzte mich im Bett herum. Billy, dachte ich, bist du das?
Das Geräusch kam wieder. Schritte waren es auch keine. War es überhaupt ein menschliches Geräusch? Ich wurde nicht schlau daraus. Alles, woran ich denken konnte, war das Meer, das Geräusch von Wellen, die sich am Strand brechen - oder wenigstens so, wie ich mir das als Landratte, die nichts von Meer und Küste wusste, vorstellte.

Novemberfeuer
Liniertes Papier, aus einem Notizblock gerissen:
Eine schlechte Woche, denn der Winter ist gekommen. Anfang November, aber mein Atem dampft in der Luft, und die Schafe bleiben den ganzen Tag in der Nähe der Futterkrippe. Die Moore sind schon im Frost erstarrt und weiß angehaucht, fast hübsch. Ich hätte Lust, darauf spazieren zu gehen, aber wenn ich einsinke, was dann?
Heute Abend werden sie den Berg von Holzkisten und kaputten Stühlen anzünden, die Rev. B hinter der Kirche aufgestapelt hat. Ich werde einen Hut aufsetzen. Ich werde, wie immer, den Glühwein ausschenken, lächeln und bleiben, bis die letzte Rakete irgendwo hinter der Hauptstraße verglüht ist. Mum kommt nicht mit. Es erinnert sie an ihre Jugend, und das mag sie nicht. Sie mag nicht zurückschauen. Zu traurig, sagt sie. Als sie ein kleines Mädchen war, hat niemand sie zu dem Fest mitgenommen, und sie musste sich heimlich hinschleichen. Sie muss sich einsam gefühlt haben, denke ich. Niemand zum Reden. Niemand, mit dem sie vor Angst und Vergnügen hüpfen konnte, wenn es krachte.
Aber K wird kommen. Alle Männer kommen, wenn es wo ein Feuer gibt, das ist mir schon aufgefallen. Novemberfeuer locken sie an wie Motten das Licht. D wird mit dem Rev. die Raketen zünden, Dad wird den Kleinen zeigen, wie man Marshmallows brät, als wäre er gleich alt wie sie. K wird später kommen. Er wird mich warten lassen. Er wird nicht neben dem Feuer stehen, aber doch nahe genug, um gesehen zu werden. Ich werde zu ihm gehen - wann? Vor dem Feuerwerk? Während des Feuerwerks? Vielleicht werde ich zu ihm hinüberschauen, wenn alle anderen nach oben gucken. Ich glaube, heute Abend wird er mich küssen.
Reverend Bickley kann sich an sie in jener Nacht des Novemberfeuers von 1968 erinnern. Es muss, nach allem, was man darüber hört, ein schönes Fest gewesen sein. Es gab mehr Raketen als je zuvor, und die Leute schüttelten ihm die Hand dafür, dass er seine Sache so gut gemacht hatte. Es kam genügend Geld herein, um das Westfenster zu reparieren, und die Lokalzeitung brachte ein Bild des Reverends. Ich habe es gesehen - er hatte einen dichten Haarschopf damals. Meine Mutter war gewissermaßen seine Assistentin. Das Mädchen, das mit einem Krug Glühwein durch die Menge geht, das hinter dem Feuer steht, um Wasser auf die Asche zu gießen, und weggeworfene Becher aufklaubt. Ich denke, sie muss wunderschön ausgesehen haben an solchen Abenden mit ihren dunklen Augen und vom Feuer rosigen Wangen. Auch meinen Großvater sehe ich deutlich vor mir, wie er sich mit einem Stecken in der Hand übers Feuer beugt, denn das haben wir bei jedem Novemberfeuer miteinander getan - in der Hitze hocken und unsere Marshmallows über dem Feuer schwarz werden lassen. »Schön langsam«, sagte er immer. »Der da ist jetzt fertig.« Er war zum Großvater geboren. Wenn mein Stecken Feuer fing oder wenn ich seine süße Last verlor, gab er mir seinen. Und irgendwie schmeckten die immer besser.
Sobald die Schuhschachtel mein war, als ich neunzehn wurde, fragte ich Reverend Bickley: »Ist meine Mutter in dieser Nacht verschwunden? War sie irgendwie komisch? Eigenartig?«
Mit einem Stapel von Gesangsbüchern in den Händen, die er mit dem Kinn abstützte, blickte er zu mir auf. »Eigenartig?«
»Zerstreut. Geistesabwesend. Ich meine nur, weil mein Vater dabei war. War er doch? Ich glaube, sie haben sich an diesem Abend zum ersten Mal richtig getroffen.«
Er runzelte die Stirn. »Du verlangst von mir, dass ich mich an einen Abend erinnere, der mehr als zwanzig Jahre zurückliegt, Evie. Mein Gedächtnis ist nicht mehr so gut, wie es einmal war.«
Es war wirklich viel verlangt von einem Mann in den Siebzigern, dessen Frau tot war, der ein altes Herz und ein Problem mit unter dem Dach der Kirche nistenden Tauben hatte, aber er erinnerte sich doch daran, dass mein Vater da gewesen war.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.08.2005