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Nicht beabsichtigt, aber ganz gewiss kein Fehler.
Meine Schwerfälligkeit frustriert mich. Ich komme mir nutzlos vor. Und mit den Schafmärkten im September gibt es eine Menge zu tun. Ich kenne mich nur als dünnes, tüchtiges Wesen, an dem außer den Armmuskeln vom Schleppen der Säcke mit Schaffutter und vom Heben der Heuballen nicht viel dran ist. Aber jetzt kann ich kaum mehr tun, als im Hühnerstall nach Eiern sehen und die Hunde füttern. Ich bin die Frau geworden, die im Hof steht und Tee! Lieferung! Telefon! schreit. Daniel und die anderen arbeiten mit nacktem Oberkörper, und ich mache mir Sorgen, dass sie sich einen Sonnenbrand holen. Auf der Veranda liegt eine Tube Sonnencreme, und ich halte sie ihnen hin, wenn sie zum Essen ins Haus kommen. Ich bin rothaarig, sage ich - glaubt ihr, ich weiß nicht, wovon ich rede?
Diese schwüle Hitze bedeutet, dass ein Gewitter kommt. Ich kenne die Vorzeichen. In meinem Hinterkopf pulsiert ein Schmerz, den ich immer habe, wenn ein Gewitter im Anzug ist. Bald wird die Luft sich eigenartig färben, blauer werden, die Hunde werden unruhig sein und doch nicht bellen. Die Natur bereitet sich auf Unwetter vor. Ein bisschen wird es noch dauern, bis der Wind aufkommt, aber nicht mehr lange. Die Roten Mieren werden ihre Blüten schließen. Ich liebe die Gewitter hier - sie donnern und blitzen über dem Becken unseres Tals, und unsere Linden schwanken. Die Schafe mögen sie weniger - wie Fischschwärme ziehen sie blökend über die Berge. Sie geraten so schnell in Panik und wissen sich dann nicht mehr zu helfen; es gibt Geschichten von ganzen Herden, die eins nach dem anderen von Felsen in den Tod gestürzt sind, und ich glaube diese Geschichten. Je mehr Köpfe, desto weniger wird gedacht - Rosies Tod hat das bewiesen.
In meiner kurzen Studentenzeit habe ich einmal ein Gedicht über eine erste Schwangerschaft gelesen. Kuhschwer nannte die Dichterin sich. Fühle ich mich so? Wie eine Kuh? Mein Gang ist etwas behäbig, und ich bin ein bisschen unsicher auf den Beinen. Aber ich fühle mich weniger wie ein Tier, mehr wie eine Frucht. Ich bin prall und rund - wie eine reife Pflaume - und fast ebenso fleischig und saftig. So reif, dass ich platzen könnte. Ich erinnere mich, wie ich in dem Seminar, auf den Stuhlbeinen schaukelnd, das Gedicht heruntermachte. Ich war frech. Ich sagte die Wahrheit - dass eine Kuh erst dann eine Kuh ist, wenn sie zweimal gekalbt hat. Färsenschwer hatte ich vorgeschlagen und meinen Bleistift auf den Tisch geworfen. Ich hatte nie wirklich dort sein wollen. Ich passte da auch nicht rein. Und ich glaube kaum, dass mich irgendjemand vermisste, als ich mich um Weihnachten herum mit kaum einem Achselzucken oder einem Blick zurück davonmachte.
Der Regen würde für reine Luft sorgen. Mein Bauch steht unter meinem Hemd hervor - ich sehe meinen harten Nabel, den dunklen Streifen Haut. Ich sehe wirklich aus wie eine Pflaume mit ihrer dunklen Rille um die Mitte. Fährt sich das Geschöpf in mir mit dem Handrücken über die Stirn? Wird es den Donner hören, wenn er kommt? Oder noch besser - wie muss es sein, bei einem Gewitter zur Welt zu kommen? Man könnte sein Leben lang glauben, dass die eigene Geburt etwas Wichtiges war - dass man von einem Blitzstrahl angekündigt wurde. Als hätte die ganze Welt - oder wenigstens die Mitte von Südwales - Beifall gezollt.
Meine erste Begegnung mit Daniel war kein außergewöhnliches Ereignis. Ich würde gerne sagen, dass es eines war, dass sein Auftritt in meinem Leben von einem Donnerschlag begleitet wurde, aber das wäre eine Lüge. Und eine schlechte noch dazu, denn im Winter gibt es hier keine Gewitter. Schade - es hätte mir gefallen, wenn unser erstes Zusammentreffen etwas Dramatisches gehabt hätte. Ich hätte gerne eine bessere Antwort auf die Fragen: Wie habt ihr euch kennen gelernt? Und wann?
Meine Großmutter hat ihn immer für etwas Besonderes gehalten. Sie sagte, sie habe es sofort gewusst, als er im Jahr vor meiner Geburt die Zufahrt nach Pencarreg heraufgekommen war.
»Was gewusst?«, fragte ich gierig.
Aber sie zuckte nur die Achseln und meinte, sie habe eben ein gutes Gefühl gehabt, mehr nicht. Weibliche Intuition, schlug sie vor. Es beunruhigte mich, so etwas von ihr zu hören - Romantik passte nicht zu ihr. Aber ich glaubte ihr trotzdem.
Daniel. Wie ist es mir nur gelungen, ihn für mich zu gewinnen?
An meinem achten Geburtstag kam er mit seinem dichten Schopf in einem roten Wollpullover in die Küche spaziert. Da entdeckte ich den Zigarettengeruch an ihm.
»Evangeline?«, fragte er schmunzelnd.
Ich nickte langsam, den Mund voller Kuchen.
Er holte einen kleinen, duftigen Strauß früher Schneeglöckchen hinter dem Rücken hervor - Galanthus nivalis.
»Glückwünsche zum Geburtstag«, sagte er.

Es gab noch andere. Ein Mann, der ein wenig hinkte, lieferte das Heu. Der Tierarzt war ein freundlicher Herr, der mich Miss Blue Eyes nannte und mir zeigte, wie man auf einem Grashalm bläst. Ein pickeliger Jüngling namens Owen reinigte jeden Samstagmorgen für anderthalb Pfund den Hühnerstall - das heißt, pickelig wurde er erst im Lauf der Zeit. Aber dann war sein Kinn mit Pickeln gesprenkelt, was ihn so verlegen machte, dass er keinen Ton herausbrachte. Als wir vierzehn waren, schickte er mir einen Valentinsgruß, nur so zum Spaß. Ich putzte ihn herunter und zerriss die Karte vor seinen Augen, um ihm zu zeigen, dass ich sein Spiel durchschaute. Auch Reverend Bickley ließ sich regelmäßig bei uns sehen, und wenn er wieder ging, den Bauch gewöhnlich voll vom besten Earl Grey meiner Großmutter, nahm er ein halbes Dutzend warmer Pencarreg-Eier mit.
Richtige Farmarbeiter hatten wir aber nur zwei. Daniel war der, auf den es ankam. Er wohnte bei uns. Genauer gesagt, er wohnte in der Nähe - der lange grüne Wohnwagen, der zwischen den Nadelbäumen hinter unserer Scheune vor sich hin rostete, gehörte ihm. Er lehnte es immer ab, in ein freies Zimmer im Haus zu ziehen, und versicherte, dass er dort glücklich sei. Und es war auch ein gemütliches Plätzchen - ein Herd, ein Kühlschrank, Kissen und das Plätschern des Regens auf dem Dach. Ich sollte mich noch oft dort verkriechen, mich in die Kissen kuscheln, in seinen Büchern lesen, seinen Tee trinken. Er benutzte unser Badezimmer im Erdgeschoss, wo der Nachtfalter hauste, und wenn ich früh genug aufwachte, stand noch der Dampf von seiner Dusche in der Diele. Seine Post und Anrufe empfing er über uns; sein Schoß war der einzige, dem unsere Katze traute. Manchmal blähten sich seine Wäschestücke auf der Leine neben dem Haus wie Segel.
Und dann gab es noch Lewis. Ihn mochte ich viel weniger. Er wohnte in der Nähe der Goldminen, in Pumsaint, wo der Sage nach einmal fünf Heilige auf der Durchreise einschliefen und ihre Eindrücke in den Steinen zurückließen. Er war neunzehn in jenem Sommer - ein kräftiger, muskulöser junger Mann. Er drehte unseren Hühnern die Hälse um, wenn sie zu alt zum Legen waren. Ich erinnere mich auch daran, wie er einmal von allen bestaunt wurde, weil er zwei Bündel Heu zugleich schleppte, in jeder Hand eins. Aber meine Großmutter konnte ihn nicht leiden. »Nie ein Bitte oder Danke. Manieren kosten nichts«, brummte sie, »eine freche Rotznase.«
Meine Abneigung gegen ihn hatte ein niedrigeres Motiv: Er war eitel. Er strich sich liebevoll über die Brusthaare und benutzte ein aufdringliches Rasierwasser. Außerdem hatte er eine Tätowierung auf dem Bizeps - ein grünes Stacheldrahtband auf seinem weißen walisischen Fleisch. Und damit es nur ja alle sehen konnten, trug er immer nur kurze Ärmel, egal, wie das Wetter war. Die Tätowierung war sein Markenzeichen. Er fiel damit auf, und ich konnte nicht verstehen, dass ihm das gefiel, denn ich hatte immer nur den Wunsch, wie ein grau gesprenkelter Falter auf einem Stein mit meinem Hintergrund zu verschmelzen. Er aber sonnte sich in der Aufmerksamkeit, die er mit seiner Tätowierung auf sich zog. Ich lernte diese Tätowierung hassen.
Eigentlich war es schade, denn er sah wirklich gut aus. Er erinnerte mich an die Gänse im Park, wie sie schnatterten und sich putzten und durch die Gegend stolzierten. Sie hätten hübsch sein können, wenn sie sich nicht so angestrengt hätten, wenn sie nicht geglaubt hätten, dass der Teich ihnen allein gehörte.
Er arbeitet jetzt auf einem Hof, der auf Milchproduktion spezialisiert ist. Vor gar nicht allzu langer Zeit kam er auf dem Markt in Llandovery auf mich zu, kratzte sich am Kopf und sagte: Evie, bist duÕs wirklich? Ich war ganz höflich. Er hatte keine Ahnung, dass mein Großvater gestorben war, und es schien ihm wirklich Leid zu tun. Er gab mir einen Kuss auf die Wange und seine Mobiltelefonnummer, was ich ziemlich blöd fand - ich trage ihm nichts nach, aber er ist manchmal wirklich grausam gewesen.
Immer hat er mich aufgezogen, einmal sogar mit einem Stein nach mir geworfen, und als Rosie verschwand, witzelte er, dass es besser gewesen wäre, ich wäre verschwunden, denn mich würde man weniger vermissen. Wie hätte ich das vergessen können? Was ist das überhaupt für ein Mensch, der so etwas sagt? Ich nahm seine Nummer entgegen, lächelte, aber es ist töricht zu glauben, wir könnten je wirklich Freunde sein. Dafür ist zu viel geschehen.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 11.08.2005