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Ostwestfalen-Lippe ein gutes
Pflaster für Bürgerengagement

Enorme Beteiligung beim Robert Jungk-Preis - 200 Projekte aus NRW dabei

Von Dirk Schröder
Bielefeld/Dortmund (WB). Ostwestfalen-Lippe scheint ein gutes Pflaster für Bürgerengagement, soziale und kulturelle Eigenverantwortung sowie Ideenreichtum zu sein. Das auf jeden Fall belegt die Beteiligung am diesjährigen Robert Jungk-Preis.
Auch in der Bielefelder Innenstadt haben die Mitglieder des Vereins Beginenhöfe sich und ihr Projekt vorgestellt. Von Links: Bettina Pochowski, Sigrun Hohlfeld, Martina Buhl, Delia von Pflug und Christina Bock.
Ehrenamtlich besucht Manfred Tiemann in Bünde mehrmals die Woche Dolorosa Steinebach. Rechts Gabriele Sudbrock von der Diakonie.
Unter dem Leitthema »Den demographischen Wandel gestalten - Chancen für Gesellschaft und Ökonomie« hat sich das Städtenetzwerk NRW gemeinsam mit der Robert Jungk-Stiftung sowie der NRW-Landesregierung in diesem Jahr an Projekte gewandt, die sich in den Bereichen Senioren, Interkultur und Soziale Netze engagieren.
Weit mehr als 200 Projekte aus ganz Nordrhein-Westfalen haben sich um den mit stattlichen 50 000 Euro dotierten Förderpreis beworben, der im Zwei-Jahres-Turnus 2005 bereits zum vierten Mal ausgelobt wird. Ein erheblicher Anteil dieser Bewerbungen kommt auch in diesem Jahr wieder aus Ostwestfalen-Lippe.
Die Veranstalter haben sich die Frage gestellt: »Wie greifen soziale und kulturelle Einrichtungen das Leitthema auf, und was passiert jenseits der großen öffentlichen Diskussionen zu diesem Thema? Auch das Städtenetzwerk war überrascht von dem Ergebnis. Lothar Kraft: »Der in diesen Zeiten vielzitierten Politikverdrossenheit und sozialen Gleichgültigkeit steht ein enormes Potential an bürgerschaftlichem Engagement und Verantwortungsgefühl für das direkte kulturelle und soziale Lebensumfeld gegenüber.«
Da gebe es Sportvereine, wie der Sport- und Jugendclub Hövelriege (Kreis Paderborn), der seine soziale und gesellschaftliche Verantwortung ernst nehme und dabei weit über Tore und Tabellen hinaussehe. Im Mittelpunkt der Vereinsarbeit stünden vielmehr der Aufbau neuer sozialer Kontakte, die Vermittlung von Lehr- und Praktikumsstellen für benachteiligte Jugendliche sowie die generationsübergreifende Zusammenarbeit in unterschiedlichsten sozialen und künstlerischen Projekten. Zielgruppen der Aktivitäten seien neben den Kindern aus der Nachbarschaft insbesondere junge Menschen mit Migrationshintergrund und sozial und psychisch belastete Heimkinder aus einem Jugendheim, welches eng mit dem Verein verbunden ist.
Vorbildlich ist auch das mit Unterstützung der Stadt Bünde (Kreis Herford) von den örtlichen Diakoniestationen auf den Weg gebrachte Projekt »Bürger für Bürger, Netzwerk kleiner Hilfen«. Nachdem Bürger und Bürgerinnen über die örtliche Presse aufgerufen worden sind, sich zu engagieren, meldeten sich viele Senioren, aber auch Berufstätige und Arbeitslose, die sich nunmehr seit mehr als einem Jahr kostenlos um einsame und hilfesuchende Menschen kümmern.
Das Angebot umfasst Gespräche, Vorlesen, Begleitung bei Spaziergängen, Hilfe beim Schriftverkehr, Unterstützung bei Behördengängen, oder auch allgemeine Entlastung von pflegenden Angehörigen. Dank der großen Beteiligung an diesem ehrenamtlichen Engagement ist seit kurzem ein zweiter Helferkreis in Bünde aufgebaut worden.
Seit fünf Jahren besteht der Verein »Bielefelder Beginenhöfe«. Ziel des Vereins ist es, neue innovative Wohnformen, insbesondere für ältere Frauen, zu entwickeln und zu realisieren. Diesem Vorhaben kommt der Verein im Herbst ein gewaltiges Stück näher. Im Baugebiet Breipohls Hof in Bielefeld-Senne soll Wohn- und Lebensraum für 30 Frauen und Kinder entstehen.
Das Projekt Bielefelder Beginenhöfe versteht sich als »Antwort auf die derzeitige demographische Entwicklung, speziell auf die Situation der Frauen in der Gesellschaft«. Modellhaft soll gezeigt werden, wie selbst organisiertes, gemeinschaftliches Zusammenleben, auch bis ins hohe Alter, möglich ist und die öffentlichen Kassen entlastet werden können.
Als »integrativen Baustein im Umgang von migrantischen Kindern mit Senioren« versteht der »Verein für soziale Arbeit und Beratung« in Herford sein Projekt, mit dem er sich am Robert Jungk-Preis beteiligt. In der von ehrenamtlichen Senioren betreuten Holzwerkstatt des Bürgerzentrum Haus unter den Linden geben diese ihr Fachwissen an Schüler einer Grundschule weiter.
Diese Schule ist eine Brennpunktschule. 60 Prozent der Kinder kommen aus Migrantenfamilien. Joachim Sproß: »Unser Anspruch ist es, den Kindern Bildung zu vermitteln, die sie in die Lage versetzt, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.« Bildung höre nicht an der Schultür auf.
Mit gemeinsamen Aktivitäten will der »Verein zur Förderung der kirchlichen Arbeit« in Detmold-Herbershausen das »Zusammenleben« von Aussiedlern, Ausländern und Einheimischen fördern. Irina Jegel ist stolz auf die ersten Erfolge dieses Projekts. Die Teilnahme an den Aktivitäten sei sehr regelmäßig, habe das Selbstwertgefühl gestärkt, und zum besseren Verständnis und der Achtung der verschiedenen Kulturen geführt.
Die Liste des beispielhaften Bürgerengagements in Ostwestfalen-Lippe und ganz NRW ließe sich noch lange fortsetzen.
Verliehen wird der Preis am 21. Oktober in Düsseldorf.

Artikel vom 02.08.2005