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Babyklappen retten Leben

In Ostwestfalen-Lippe wurden mindestens vier Kinder abgegeben

Von Dietmar Kemper
Herford/Detmold (WB). Kinderärzte in Ostwestfalen-Lippe fordern besseren Schutz für Säuglinge, die von ihren Eltern nicht angenommen werden. »Es müssen flächendeckend Babyklappen eingeführt werden«, sagte am Freitag der Kinderarzt des Klinikums Lippe-Detmold, Klaus Wesseler, dieser Zeitung.

Die Gesellschaft dürfe nicht so lange warten, »bis ein totes Kind auf der Müllhalde liegt«, warnte der Leiter der kinder- und jugendmedizinischen Klinik. Damit spielte Wesseler auf den Fall des kurz nach der Geburt getöteten Jungen an, der am Dienstag abend auf einem Fließband der Recyclingfirma Reiling in Harsewinkel-Marienfeld entdeckt worden war. »Das Beispiel in Marienfeld öffnet die Augen«, erklärte am Freitag der Leiter der Kinderklinik Herford, Rolf Muchow. Babyklappen leisteten dem sorglosen Umgang mit Neugeborenen keinen Vorschub, sagte Muchow dieser Zeitung: »Gegen diese Behauptung spricht die relativ geringe Zahl der abgegebenen Kinder.«
In Ostwestfalen-Lippe gibt es fünf Babyklappen: in Detmold (Klinikum Lippe), in Herford (Klinikum), Gütersloh-Blankenhagen (Pfarrhaus der Katholischen Kirchengemeinde Heilige Familie), in Hüllhorst im Ortsteil Ahlsen sowie in Paderborn gegenüber dem Vincenz-Krankenhaus. Bislang wurden mindestens vier Jungen und Mädchen anonym abgegeben. Das Klinikum Lippe-Detmold wollte keine Zahlen nennen. Exakte Zahlen über die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen kennt auch die neue CDU-FDP-Landesregierung nicht. Eine Meldepflicht gegenüber den Behörden gebe es nicht, teilte ein Regierungssprecher mit.
In Deutschland wurde die erste Babyklappe am 8. April 2000 in Hamburg-Altona eingerichtet. Mittlerweile existieren mehr als 40. Mütter, die ihren Nachwuchs nicht behalten möchten, können ihn anonym in ein windgeschütztes, klimatisiertes Fenster legen. Anschließend kümmern sich Privatinitiativen, Kirchengemeinden und Ärzte um das Kind. Nach der medizinischen Versorgung werden adoptionswillige Eltern gesucht.
Anonyme Geburten in Krankenhäusern sind in Deutschland nicht straffrei, sondern gelten als Ordnungswidrigkeit. Kinderarzt Wesseler fordert den Gesetzgeber auf, anonyme Geburten zu legalisieren: »Das Recht auf Leben ist wichtiger als das, seine Herkunft zu wissen.« Sowohl Babyklappen als auch anonyme Geburten seien wirksame Instrumente, um Frauen in absoluter Notlage zu helfen. Vor allem muslimische Frauen befänden sich in großer Gewissensnot: »Sind sie ungewollt schwanger, werden sie verstoßen.«
Rolf Muchow von der Kinderklinik Herford sprach sich für die Übernahme der Regelung in Frankreich aus: Nach einer anonymen Geburt kommt der Name der Eltern in einen Umschlag, der von einem Rechtsanwalt verwahrt wird. Möchte das Kind seine Herkunft wissen, wird der Name preisgegeben. Vor allem jüngere Schwangere entscheiden sich immer öfter für eine Abtreibung. Zwischen 1996 und 2004 wuchs die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche bei den 15- bis 18jährigen um 62 Prozent auf 7075. Seite OWL/Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 30.07.2005