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Rentenkassen pumpen Bund an

Vorgezogene Zuschüsse sind bereits im September wahrscheinlich

Berlin (Reuters/dpa). Ein drohender Engpass zwingt die Rentenkassen, den Bund voraussichtlich schon im September um fast eine halbe Milliarde Euro zu bitten. Es wäre das erste Mal seit 1985, dass die Rentenkasse auf vorgezogene Bundesmittel angewiesen ist.

»Es tritt ein, was wir vor geraumer Zeit angekündigt haben, dass wir voraussichtlich im September vorgezogene Bundesmittel in Anspruch nehmen müssen«, sagte gestern der Direktor des Verbands der Rentenversicherungsträger (VDR), Franz Ruland.
Laut Ruland müssen Ende September zudem voraussichtlich 50 Millionen Euro überbrückt werden. Er schloss nicht aus, dass ein Kredit Ende November notwendig sein könnte.
Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) bestätigte einen Bericht des Berliner »Tagesspiegels«, es könne sein, »dass im September für wenige Tage weniger als eine halbe Milliarde des Bundeszuschuss für den Monat Oktober vorgezogen werden muss«.
Das Ministerium warnte davor, von einem drohenden Kollaps zu sprechen. »Die finanzielle Lage der Rentenversicherung ist aber angespannt«, sagte der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes (SPD). Der Bundeszuschuss von fünf Milliarden Euro pro Monat könne teilweise vorgezogen werden. Die Rentenauszahlung sei »völlig sicher«.
Die Union machte die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung für die Misere verantwortlich.
Die vorgezogenen Mittel würden für den Risikostrukturausgleich der Krankenkassen benötigt, den die Rentenversicherung als Auftragsgeschäft durchführe, sagte Ruland. Voraussichtlich werde darüber hinaus Ende September noch ein kleiner Betrag für die eigentliche Rentenzahlung notwendig. Als Grund für die Finanzknappheit nannte Ruland den Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Deutschland.
Zudem kritisierte er, dass die Mindestreserve der Rentenversicherung mit 20 Prozent einer Monatsausgabe »deutlich zu niedrig festgesetzt« sei. Als Folge müssten die Versicherer immer dann auf vorgezogene Bundesmittel zurückgreifen, wenn die Beitragseinnahmen geringfügig von den Vorausschätzungen abwichen.
Die Mindestreserve dient dazu, Einnahmeschwankungen im Jahresverlauf auszugleichen. Im Juni betrug sie nur noch sechs Prozent einer Monatsausgabe. Die rot-grüne Regierung hatte den Mindestwert mehrfach gesenkt. Laut Thönnes müssen 500 Millionen Euro aus den im Oktober fälligen fünf Milliarden Euro des Bundes an die Rentenkasse möglicherweise schon im September überwiesen werden. Dies sei jedoch nur für wenige Tage notwendig. Das Geld werde bis Ende des Jahres zurückgezahlt sein. Die Entscheidung falle in den nächsten Wochen.
Berichte, wonach die Rentenkasse am Jahresende gar einen Kredit des Bundes benötigen könnte, nannte Thönnes Spekulation. Die Regierung rechne damit, dass im Laufe des Jahres eine konjunkturelle Besserung eintrete und somit mehr Einnahmen zu verzeichnen seien werden.
Die Unions-Sozialexperten Wolfgang Zöller (CSU) und Andreas Storm (CDU) kritisierten, nach sieben Jahren rot-grüner Regierung stecke die Alterssicherung in der größten Finanzkrise seit ihrem Bestehen. Deutschland brauche einen Politikwechsel hin zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Zudem warfen sie der Regierung vor, der Rentenrücklage allein in der Amtszeit von Ulla Schmidt fast 14 Milliarden Euro entzogen zu haben.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warf allen Parteien vor, obwohl der Handlungsbedarf bei der Rente mehr als offensichtlich sei, werde das Thema in den Wahlprogrammen nahezu ausgespart.
Ruland rechnet damit, dass sich durch die von 2006 an geltende frühere Abführung der Sozialbeiträge die Situation entspannen wird, weil zusätzlich 9,6 Milliarden Euro frei werden.
Der Sozialverband VdK warnte davor, dass die Reserve der Rentenkassen versiegt.
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Artikel vom 27.07.2005