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Gericht blieb keine andere Wahl

Lebenslange Haft für Mord an islamkritischem Regisseur Theo van Gogh

Von Thomas P. Spieker
Amsterdam (dpa). Richter Udo Willem Bentinck schaute den Angeklagten ruhig an. Leise, aber völlig unmissverständlich sagte er: »In dieser Sache ist nur eine Strafe angemessen: eine lebenslange Gefängnisstrafe.« Der 27-jährige Angeklagte Mohammed Bouyeri nahm das Urteil für den brutalen Mord an dem islamkritischen Regisseur Theo van Gogh regungslos hin.
Er würde es wieder tun: Mohammed Bouyeri.
Er hatte es selbst provoziert. Nachdem er vor zwei Wochen am Ende der Hauptverhandlung bekannte, er würde jederzeit wieder so handeln, waren sich Prozessbeobachter einig: Das Gericht hat keine andere Wahl, als ihn für immer hinter Gitter zu schicken.
Bouyeri hatte van Gogh am 2. November 2004 auf offener Straße in Amsterdam niedergeschossen, auf ihn eingestochen und ihm die Kehle durchtrennt. Dabei habe der Verurteilte, ein Niederländer marokkanischer Herkunft, aus religiöser Überzeugung gehandelt, so das Gericht. »Er ist ein Überzeugungstäter, der van Gogh als Feind des Islam sah«, sagte der Richter. Van Gogh hatte mit beleidigenden Äußerungen über den Islam häufig für Empörung in der muslimischen Gesellschaft gesorgt.
Eine lebenslange Haftstrafe endet in den Niederlanden nur mit dem Tod - oder einem königlichen Gnadenerweis, mit dem in diesem Fall kaum zu rechnen ist. Auch gilt es als unwahrscheinlich, dass Bouyeri Revision einlegt, da er es bisher abgelehnt hat, sich in irgendeiner Weise zu verteidigen.
Die »gnadenlose Abschlachtung« - so das Gericht - van Goghs am 2. November 2004 hat die Niederlande vielleicht noch mehr erschüttert als die Ermordung des umstrittenen Politikers Pim Fortuyn im Mai 2002. Schon damals schockierte der Angriff auf das demokratische Zusammenleben, auf die Toleranz, die die niederländische Gesellschaft lange auszeichnete. Als Täter zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde ein selbst ernannter und isolierter Tierschützer, der Fortuyn als unerträgliche Gefahr für die Schwachen in der Gesellschaft sah.
Mohammed Bouyeri dagegen ist nach Überzeugung der Ermittler Teil einer islamisch-terroristischen Gruppe. Darauf deuten Schriften, Fotos und Filme hin, die massenhaft bei ihm und im Freundeskreis gefunden wurden.
»Es gibt ein Bild von einem Netzwerk radikaler junger Muslime«, konstatierte der Richter, «jedoch keinen überzeugenden Beweis«. Allerdings gehörte die Mitgliedschaft zu einer terroristischen Organisation auch nicht zu den Anklagepunkten. Erst demnächst soll dem Kreis um Bouyeri, der so genannten Hofstad-Gruppe, der Prozess gemacht werden.
Dies dürfte kein einfaches Unterfangen werden. Zwar hat das Parlament das Strafrecht verschärft, um den Terrorismus besser bekämpfen zu können. Aber manche Experten warnten deshalb bereits vor zu großer Einschränkung demokratischer Freiheiten, und die Gerichte pochen auf unwiderlegbare Beweise.
Ein mutmaßliches Mitglied der Hofstad-Gruppe wurde im April freigesprochen. Bei dem Mann waren Grundrisse wichtiger Einrichtungen, Waffenzubehör und Hetzschriften gefunden worden. Das Gericht hatte keine Zweifel, dass er einen Anschlag plante - doch die Staatsanwaltschaft konnte den Beweis nicht führen, was er genau im Schilde führte.
Das Gericht, das jetzt Mohammed Bouyeri verurteilte, nahm erstmals Bezug auf die neuen Antiterrorgesetze. Damit wurde deutlich, wann diese greifen - immerhin wurde schon gefragt, ob der Mord an einem Einzelnen überhaupt Terrorismus bedeutet. Bouyeri habe aber auch einem Passanten gesagt: »Da seht Ihr, was Euch erwartet«, betonte das Gericht. Er habe Angst und Schrecken verbreitet und schriftlich nicht nur eine Abgeordnete mit dem Tode, sondern die ganze Gesellschaft bedroht.

Artikel vom 27.07.2005