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Die zwei Seiten
der Schönheit

ARD-Dokumentation über Venedig

ARD, 23.45 Uhr: Es ist ein Blick hinter die Kulissen der weltberühmten Lagunenstadt, den die Autorin Carmen Butta in »Venedig - 24 Stunden« den Zuschauern ermöglicht.
Die Hauptrolle spielen hier einmal nicht die Sehenswürdigkeiten, sondern die »Statisten« im Touristen-Spektakel: die Venezianer. Die 45-minütige Dokumentation, deren Text die Schauspielerin Hannelore Hoger spricht, wird zum ersten Mal gezeigt.
Immer weniger echte Venezianer leben noch in der Stadt, die jedes Jahr zwölf Millionen Besucher anzieht. Butta begleitet diese Menschen, die Venedig am Leben halten: Briefträger, Warenlieferanten, Journalisten, Handwerker, Ärzte, Polizisten, Feuerwehrleute.
Venedig ist ein Dorf, in dem sich alle kennen: Beim Frühstück und beim Aperitif wird über die Probleme der Stadt geredet, und Nachrichten machen die Runde. Menschen führen hier ein merkwürdiges Leben am Rande des Touristen-Spektakels: Weil Rad fahren und Ball spielen in den engen Gassen verboten ist, toben die Enkel des Grafen im Empfangssaal des Palazzo. Der Einkauf mit Kinderwagen wird für junge Mütter zwischen Brücken, Treppen und Vaporettos zum Hindernislauf. Warenlieferanten auf Schiffen drängen sich in den engen Kanälen. Polizisten langweilen sich in der Stadt, in der kaum Verbrechen begangen werden. Und immer wieder Hochwasser.
Fern vom Glanz der Welterbe-Stadt ist hier auch von Versorgungsproblemen, Enge und Krankheit die Rede. Die Einwohner fühlen sich vom Tourismus bedroht, reden von der »Mumie Venedig«, vom »Vergnügungspark«, vom »Reservat«. Restaurants verdrängten die normalen Läden, beklagt sich die Bäckerin. Venezianer seien »gefangen wie die Affen im Zoo«. Auch Graf Marcello, dessen Palazzo den Touristen gern gezeigt wird, wettert gegen die Geschäftemacher vom Festland. Trotzdem sind die Venezianer stolz auf ihre Stadt.
Die 42 Jahre alte Autorin Butta zeigt in ihrer im vergangenen Oktober gedrehten Dokumentation auch die hässliche Seite Venedigs. Der Industriehafen Marghera, der vier Kilometer von der Altstadt entfernt ist, spuckt seit Jahrzehnten Gifte aus. Ehemalige Arbeiter leiden nach Jahre langem Kontakt mit Chemikalien an Krebs, viele sind bereits tot. Einfühlsam zeigt Butta einen dieser ehemaligen Arbeiter bei der ärztlichen Untersuchung. 1995 kam es zum Prozess gegen die Werke, der mit Freispruch für die Manager endete. Die Betroffenen bereiten ein Berufungsverfahren vor.

Artikel vom 27.07.2005