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Ganz dick im Reisegeschäft
Gruppenurlaub für Übergewichtige kommt in den USA groß heraus
Wer bei einem Tauchkurs der kalifornischen Reiseveranstalterin Liz Nichols mitmacht, muss sich strikt an zwei Regeln halten: Im Urlaub wird nicht über Diäten gesprochen und keiner zieht über die Körperfülle der Mitreisenden her.
Denn abfällige Bemerkungen über ihr Gewicht hören die Teilnehmer im Alltag nur allzu oft. Unter dem Namen »Big Adventures« (Große Abenteuer) organisiert Nichols Tauchkurse für Menschen mit mehr als nur »ein paar Pfund« zuviel. Die 43-jährige Psychologin und Hobby-Taucherin selbst bringt bei einer Größe von 1,69 Metern um die 130 Kilo auf die Waage. Als sie vor fünf Jahren ihre Begeisterung fürs Tauchen entdeckte, war sie trotz abfälliger Blicke der »Dünnen« und unbequemer Ausrüstung, die auf Schlanke zugeschnitten war, nicht mehr zu bremsen.
»Für immer mehr dicke Menschen wird es in Zukunft immer mehr spezielle Urlaubsvergnügen geben«, meint Nichols. Auf Hawaii und anderen Inselparadiesen arbeitet die Kalifornierin mit Tauchläden zusammen, die auf ihre Anregung hin einen »größenfreundlichen« Service anbieten. Dazu gehören unter anderem mehr Gewichte am Gürtel, um die schwergewichtigen Kunden während der Tauchgänge unter Wasser zu halten. Noch hat sie keinen wegen zu großer Leibesfülle abweisen müssen.
Übergewichtige mit weniger sportlichen Ambitionen können sich jedes Jahr im Juli bei einer Party-Woche in der Casino-Stadt Las Vegas vergnügen. Was Joann Bellemore, Gründerin vom Big Beautiful Women Network (Netzwerk der schönen dicken Frauen) vor neun Jahren mit einer handvoll Bekannten startete, lockte in diesem Jahr 600 schwere Damen und Herren aus allen Teilen der USA und anderen Ländern an. »Es war ein voller Erfolg«, sagte Bellemore. Für das zehnjährige Jubiläum im Jahr 2006 rechnet sie mit einem noch größeren Zulauf. Das Urlaubs-Programm umfasst Bauchtanz-Kurse, Kostümwettbewerbe und Pool-Partys.
Eine »dicke Portion Spaß« verspricht auch Barbara Salas, die seit 2003 Kreuzfahrten für Übergewichtige organisiert. Beim Schiffebuchen achtet die 34-Jährige auf praktische Pluspunkte, etwa, dass die Swimmingpools an Bord statt dünner Leitern breite Treppen haben. Mit der Masse ihrer Teilnehmer sei der Reisespaß schon programmiert, meint Salas. »Wenn man als Dicker alleine reist und dann 50 Dünne auf der Tanzfläche sieht, fühlt man sich natürlich schlecht. Wir treten gleich mit 20, 30 Dicken an, und alle haben Spaß.« Die meisten Kunden stammen aus den USA, aber bei der in Florida ansässigen Veranstalterin haben auch schon übergewichtige Holländer und Deutsche gebucht.
Die Amerikaner gelten als dickstes Volk der Welt. Ein Drittel der Bürger ist fettleibig, ein weiteres Drittel übergewichtigt, rechnen US-Gesundheitsbehörden vor. Aber gut 110 Kilo Körpergewicht halten die Kalifornierin Debbie Machold nicht davon ab, sich aufs Surfbrett zu begeben. »Wir sollten nicht darauf warten, erst dann das Leben zu genießen, wenn wir endlich dünn sind. Wir müssen jetzt schon aktiv werden«, meint die Sozialpädagogin. Die 35-Jährige räumt ein, dass sie »im Badeanzug nicht glücklich ist«, aber der Frust würde beim Gruppenurlaub mit Gleichschweren schnell vergehen.
Das Angebot für fettleibige Amerikaner ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. »Größenfreundliche« Ferienressorts wie etwa »Freedom Paradise« in Mexiko haben sich mit stabilen Betten, großen Duschräumen und verstärkten Hängematten auf schwergewichtige Gäste eingestellt.
Im Jahr 2004 hat Barbara Salas mehr als 200 »übergroße« Kunden auf Kreuzfahrten geschickt und damit durchweg gute Erfahrung gemacht. Tauchexpertin Liz Nichols ist ihren Kunden die beste Animateurin: »Ich bin wirklich dick, aber trage gelassen einen Badeanzug«, sagt sie. »Was ich kann, das könnt ihr auch!«

Artikel vom 30.07.2005