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Nicht nur Stadt der Klassiker
Weimar hat weitaus mehr zu bieten als Goethe und Schiller
»Weimar ist ein Park, in dem eine Stadt liegt« - so charakterisiert Jens Braun, Touristikchef des »Welterbedorfs«, seine Heimat. Nur 60 000 Einwohner hat Weimar, aber mit 22 Einträgen in die UNESCO-Welterbe-Liste ist die Stadt Spitzenreiter in Deutschland.
Nachdem Weimar 1999 als Kulturhauptstadt Europas sieben Millionen Besucher anlockte, hat sich der Wert mittlerweile bei 3,5 Millionen Touristen pro Jahr eingependelt. Das ist zu wenig, um die 3000 Gästebetten füllen zu können. Die Auslastung der Hotels beträgt im Durchschnitt denn auch nur 40 Prozent - Êwas inzwischen auch Insolvenzen zur Folge hatte.
Weimars Image als »Klassikerstadt« ist Segen und Fluch zugleich. Denn es gibt mehr zu sehen als das Deutsche Nationaltheater mit dem Denkmal von Goethe und Schiller sowie die Wohnhäuser der beiden Dichter. »Vergessen wir Herder und Wieland nicht«, mahnt Braun -Êum dann gleich auf die durch einen Brand zerstörte Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek zu sprechen zu kommen. »70 Millionen Euro werden Wiederaufbau und Restaurierung der beschädigten Bücher kosten - bislang haben wir erst Spenden in Höhe von zehn Millionen bekommen. Viele Bücher liegen noch schockgefrostet in der Tiefkühlung und warten auf Wiederherstellung.«
Weimar ist nicht nur Stadt der Literatur, sondern hat auch eine große musikalische Vergangenheit. Franz Liszt verbrachte viele Jahre seines Lebens dort, wollte gar ein zweites großes Zeitalter für Weimar initiieren. Auch Johann Sebastian Bach hat Spuren hinterlassen. Und auf der Musikhochschule haben zahllose Talente ihren Schliff erhalten. Aufführungen der Staatskapelle runden heute jeden Weimar-Besuch musikalisch ab - wenn man denn Tickets bekommt.
Die bildende Kunst ist an Weimar ebenfalls nicht folgenlos vorbeigegangen. So kommen Touristen gerne her, um sich dem Werk Lucas Cranachs zu widmen. Auch Kandinsky, Gropius und Feininger wirkten in Weimar - sie gründeten dort das Bauhaus, welches unter dem Druck der Nazis, die in Weimar eine ihrer Hochburgen fanden, die Stadt verlassen musste. Wie es dazu kommen konnte, dass in einem der intellektuellen Zentren Deutschlands schließlich noch das KZ Buchenwald errichtet wurde, in dem 57 000 Menschen umkamen, bietet bis heute Diskussionsstoff. Da ist es gut zu hören, dass das wegen Geldknappheit geschlossene Stadtmuseum, einzige Dokumentationsstätte, die sich mit der Gründung und dem Zerfall der Weimarer Republik beschäftigt, 2006 wiedereröffnet werden soll - Êmit sparsamerem Konzept.
Weimar hat aber auch eine volkstümliche Seite, die es durchaus nicht versteckt. So lockt der Zwiebelmarkt jährlich das Fünffache der Einwohnerzahl in die Stadt. Außerdem rühmt sich Weimar, Standort des ersten öffentlichen Weihnachtsbaumes zu sein. Den stiftete ein ortsansässiger Kaufmann mit Blick auf alle Kinder, deren Familien sich keinen eigenen Baum leisten konnten. Jener Kaufmann war Buchhändler - Êwomit sich der Kreis zur Literatur wieder schließt... Thomas Albertsen

Artikel vom 30.07.2005