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Benedikt XVI. zieht erste Bilanz:
Papst-Sein ist nicht einfach

100 Tage an der Spitze der katholischen Kirche: »Menschen sind gut zu mir«

Von Peer Meinert
Les Combes/Rom (dpa). Nach 100 Tagen an der Spitze der katholischen Kirche hat Benedikt XVI. eine erste Bilanz gezogen: Papst-Sein ist nicht einfach. »Ich habe niemals gedacht, dieses Amt zu erhalten. Aber die Menschen sind sehr gut zu mir und unterstützen mich«, vertraute der 78-Jährige gestern in seinem Ferienort im Aostatal Journalisten an.
An seinem Urlaubsort im Aostatal in Norditalien wird Papst Benedikt XVI. von Kindern umringt. Bis zum 28. Juli bleibt er in den Alpen. Gestern zog er dort eine erste Bilanz seines Papst-Daseins. Fotos: Reuters
Benedikt XVI. genießt die Ferien: Bekleidet mit weißer Windjacke und Baseballkäppi machte der Papst auch einen Ausflug zum Mont Blanc.
Auf die Frage, ob die ersten Monate auf dem Petrusthron schwierig gewesen seien, antworte Joseph Ratzinger: »Ja, in einem gewissen Sinne schon.« Ratzinger war am 19. April zum Papst gewählt worden. Am Donnerstag, wenn er seine Ferien in den Alpen beendet, ist er 100 Tage im Amt.
Wenn Papst Benedikt den Menschen auf dem Petersplatz zuwinkt, sind seine Bewegungen mitunter noch etwas ungelenk. Ruckartig reißt er die Arme in die Höhe, dreht die Handflächen wie zur Abwehr nach außen. Als ob Joseph Ratzinger sich noch nicht daran gewöhnt hat, dass die Menschen ihm jetzt zujubeln - statt ihn mit Kritik zu konfrontieren.
Kein Wunder, schließlich war der konservative Bayer bis vor seiner Wahl zum Papst am 19. April einer der am meisten angefeindeten Kardinäle. Seitdem lebt »der Neue« in einer anderen Welt: Sonntag für Sonntag pilgern Zehntausende unter sein Fenster im Vatikan. Wenn er das Gebet beendet, applaudieren ihm die Gläubigen; spricht er ein paar Worte auf Deutsch, schwenken sie schwarz-rot-goldene Fahnen.
Er sei nur »ein einfacher und demütiger Arbeiter im Weinberg des Herren«. Bescheiden, zurückhaltend und sympathisch präsentierte sich der Frischgewählte an diesem denkwürdigen 19. April der Welt. Es war früher Abend, ein Dienstag, es dämmerte bereits. Deutschland hielt den Atem an. Die Wahl eines Mannes aus dem »Land Luthers« war eine Sensation; fast 500 Jahre lang hatte es keinen deutschen Papst gegeben. »Wir sind Papst« titelte die »Bild«-Zeitung, eine Woge der Euphorie erfasste das Land.
Noch am Abend lud der Neue die mehr als 100 Kardinäle im Vatikan zum Essen ein. Es gab zum Abschluss Eis und Sekt, langsam fiel die Anspannung von den Herren in Purpur ab: »Wir waren wie fröhliche Kinder, die mit ihrem Vater zusammensaßen«, plauderte später der Kölner Erzbischof Joachim Meisner. »Es war eine Bombenstimmung.« Das war ein neuer Stil im Vatikan: Ausgelassene Freude, befreiendes Lachen - so etwas hatte es lange nicht mehr gegeben.
Ein Papst, der wieder lachen kann, der klar und deutlich zu sprechen vermag, der auf eigenen Füßen gehen kann - das war für viele das eigentlich Befreiende der Wahl. Die Gläubigen in der Welt hatten gelitten unter der langen Krankheit von Johannes Paul II.. »Es ist wie ein Geschenk«, meinte ein Römer zur Wahl. Geradezu begeistert nahmen die Gläubigen den Neuen auf - vor allem auch den »Menschen Ratzinger«. Und so machten die größten Schlagzeilen bisher nicht etwa die theologischen Äußerungen Ratzingers, nicht seine Predigten, nicht seine Aufrufe.
Die größten Schlagzeilen hat bisher Ratzingers altes Auto gemacht. Für fast 190 000 Euro wurde das betagte Vehikel per Internet versteigert - die Nachricht ging um die Welt. Auch dass sein Geburtshaus in Marktl am Inn jetzt verkauft werden soll, beschäftigt die Öffentlichkeit und die Medien mehr als viele anstehende religiöse Fragen. Das mag Ratzinger als abwegig empfinden - ändern kann er es nicht. »Er muss es erdulden«, meint ein Vatikaninsider.
Ansonsten ist es ein wenig still geworden um den neue Papst, überraschend still fast. Dabei hat »papa Ratzinger«, wie ihn die Römer zärtlichen nennen, rasch und ohne Zögern so gut wie all die Positionen wieder vertreten, für die er früher so angeprangert worden war.
Er verdammte die Schwulen-Ehe - und im selben Atemzug auch die »offenen Beziehungen« und die »Ehen auf Probe« gleich mit.
Ebenso kompromisslos ging Benedikt beim Thema Verhütung vor. Bei einem Besuch afrikanischer Bischöfe sprach er in einem Satz von Prostitution, Menschenhandel und einer »Haltung der Verhütung«. Wer in der Euphorie der Papstwahl auf einen »weichen« Ratzinger gehofft hatte, sieht sich getäuscht. »Auch als Papst bleibt er sich treu«, meint ein Vatikankenner. »Hätte man etwas anderes erwarten können?«
In Rom zirkuliert die Nachricht, seine erste Enzyklika sei bereits im Entstehen, sogar in seinen Sommerferien arbeite der fleißige Deutsche daran. Wovon sie handelt, dringt nicht über die hohen Vatikanmauern.
Eine weitere echte Nagelprobe sei sein Auftritt beim Weltjugendtag in Köln Mitte August. Sein Vorgänger, der »Menschenfischer« und Medienpapst aus Polen, verstand es, Millionen Menschen in den Bann zu ziehen. »Wir befinden uns in einer Phase der Hochspannung««, meint ein römischer Theologe. »Wir warten auf den großen Coup.«

Artikel vom 26.07.2005