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Einmal Toccata
rauf und runter

Drittes Orgelsommer-Konzert

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Nach der Pflicht die Kür: Toccata und Fuge gehören zu den Orgelwerken, bei denen sich die Spreu vom Weizen trennt. Im Mittelpunkt des dritten Orgelsommer-Konzerts stehend, empfahl sich Kirchenmusikdirektorin Ruth M. Seiler als versierte Kennerin der hohen Kunst an der Kleuker-Orgel der Neustädter Marienkirche.

Der Programmbogen umspannte einen Abschnitt von der Spätromantik bis in die Neuzeit und bot einen repräsentativen und gleichermaßen attraktiven Querschnitt der Gattung Toccata (lat. toccare: schlagen) mit ihren schnellen Notenwechseln und ihrer farbenreichen Klangpalette.
Nach der Phase der unmittelbaren ersten Reger-Rezeption durch die Leipziger Schule mit ihrem authentischen Reger-Spiel ist es still geworden um den gewichtigsten deutschen Orgeltitanen nach Bach. Um so dankbarer muss man sein, Orgelwerke des vielfach unterschätzten Komponisten live zu hören. Seiler eröffnete mit der klangstrahlend-umschatteten Toccata in d-Moll aus op. 59, energisch zupackend in der Art und der halligen Raumakustik durch differenzierte Tempi Rechnung tragend. Den folgenden Werkekanon wickelte die Kirchenmusikerin hochvirtuos, souverän und geschmackvoll ab. Stellte Beschauliches neben quirlige Präludierkunst (Sweelinck), erwies der Figuration in geschmeidigem Fluss die Ehre (Muffat), frönte mit musikalischer Ausdruckslust der polyphonen Linienführung und Stimmtrennung (Buxtehude) und verdichtete Klang, ohne je an Transparenz zu verlieren beispielhaft bei Johann Nepomuk Davids orgelbombastischer Toccata und Fuge in f-Moll. Seiler spielte hier die expansive Erweiterung des Ausdrucks durch Chromatisierung und akkordische Reihenbildung formbewusst und klangschön aus.
Krönende Höhepunkte bildeten Bachs Toccata und Fuge in F-Dur, der Seiler durch rhythmische Akzentuierung interessante Bewegungsimpulse gab, sowie Charles-Marie Widors Ohrwurm-Toccata aus der Symphonie pour Orgue. In der charismatischen Ausgestaltung und Akzentuierung, in der Registerwahl, in rhythmischer Impulskraft und differenzierter Dynamik offenbarte Seiler die raffinierte Bandbreite des genial einfach komponierten Werks.

Artikel vom 26.07.2005