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Leitartikel
Familienpolitik

Union wird
nachbessern
müssen


Von Jürgen Liminski
Wirtschaftliches Wachstum garantiert den Wohlstand, Wachstum heißt daher die Devise der Union. Wie eine Monstranz wird der Begriff vor jeder Programm-Diskussion in den Medien hergetragen, alle und alles müssen sich diesem Ziel unterordnen. Solcher Eifer aber kann blind machen. Denn die selbsternannten Experten der Parteien sehen nur noch einen Weg: den Faktor Arbeit billiger machen. Aber diese fast schon zur Ideologie erhobene Monokausalität übersieht andere, vielleicht sogar wichtigere Faktoren des Wachstums.
Da ist zum einen die Frage, für wen die Wirtschaft wachsen soll. Steht wirklich noch der Mensch im Mittelpunkt alles Wirtschaftens oder nicht schon die Wirtschaft selbst? Wer das Wahlprogramm der Union daraufhin untersucht, den werden Zweifel beschleichen. Die Familie kommt in diesem Programm unter dem Strich schlechter weg als vorher, sie wird auch nicht als Wirtschaftsfaktor gesehen, sondern nur als Kostenfaktor.
Wo ihr etwas gegeben wird, wird ihr noch mehr genommen. Beispiel Kinderrabatt bei der Rente: Die 50 Euro pro Kind und Monat machen 600 Euro im Jahr aus, aber die Abschaffung der Eigenheimzulage, die diesen Rabatt finanzieren soll, kostet die Familien 750 Euro pro Kind, abgesehen davon, dass damit auch eine Konjunkturspritze für die Bauwirtschaft entfällt.
Oder die Mehrwertsteuer: Sie trifft Familien härter als andere, weil Familien mehr konsumieren (müssen). Oder der Steuerfreibetrag von 8000 Euro pro Person: Viele Familien können ihn gar nicht ausschöpfen, weil sie zu wenig verdienen. Ihnen sollte man, wie Paul Kirchhoff vorschlägt, das Kindergeld erhöhen und außerdem wenigstens für Familien die Ökosteuer abschaffen, so wie es übrigens jahrelang von der Union verlangt worden war.
Familienpolitik ist keine Unterabteilung der Sozialpolitik, sondern eine Frage der Leistungsgerechtigkeit. Sozial ist, was Arbeit schafft, sagen die Jünger des Marktes. Dem muss man entgegenhalten: Asozial ist, was geschaffte Arbeit nicht anerkennt. Nur diese Anerkennung der Leistung macht den Markt zum Wachstumsmotor. Das ignorieren die Politiker.
Selbst wenn dem reinen Marktpolitiker Menschenwürde und Gerechtigkeit zweitrangig sind und er sich an den bitter-ironischen Satz des Nationalökonomen Friedrich List hält (»Wer Schweine aufzieht, ist ein produktives, wer Menschen erzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft«), ohne Gerechtigkeit für die Familie rutscht die Gesellschaft in einen brutalen Marktkapitalismus ab, der zusammenbricht, sobald der Export wegen einer erlahmenden Weltkonjunktur nachlässt. In der Familie wird das Humanvermögen gebildet, jene Voraussetzung, von der der Staat lebt, die er selber aber nicht schaffen kann. Die Union wird ihr Programm im Sinne der sozialen Marktwirtschaft nachbessern müssen. Sonst kann man es auch bei Rot-Grün belassen.

Artikel vom 28.07.2005