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Schulz warnt vor »Weimar in Berlin«

Ex-Bürgerrechtler begründet Klage gegen Auflösung des Bundestages

Berlin (dpa). Der Grünen-Abgeordnete Werner Schulz hat seine Klage gegen die vorzeitige Auflösung des Bundestages mit der Gefahr einer »Kanzlerdemokratie« begründet.
Der grüne Bundestagsabgeordnete Werner Schulz begründete seine Klage mit der Gefahr einer »Kanzlerdemokratie«. Foto: dpa

Eine Neuwahl über die am 1. Juli wunschgemäß gescheiterte Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder (SPD) schaffe einen Präzedenzfall, der »ein großes Scheunentor für jeden anderen Kanzler« öffnen würde, sagte Schulz am Freitag. »Das wäre ein Stück Weimar in Berlin«, sagte er unter Verweis auf das Parlamentsauflösungsrecht des Reichspräsidenten in der Weimarer Republik.
Schulz und die Bundestagsabgeordnete Jelena Hoffmann (SPD) wollen kommende Woche Klage vor dem Bundesverfassungsgericht einreichen.
Am Freitag gingen bereits Klagen von Splitterparteien gegen eine Neuwahl ein. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg sagte, die Bundesregierung warte das Verfahren in Karlruhe »in großer Gelassenheit« ab.
Künftige Kanzler könnten immer dann die Parlamentsauflösung betreiben, wenn das politisch opportun scheint, warnte Schulz. »Was tun wir denn, wenn das Volk wieder nach Neuwahlen ruft? Dann werden wir permanent Neuwahlen durchführen.« Die Intention des Grundgesetzes sei aber Beständigkeit und Klarheit über die Länge der Wahlperiode.
An die Adresse von Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering gerichtet kritisierte Schulz einen »sehr respektlosen Umgang« mit den Verfassungsorganen. Bundespräsident Horst Köhler habe die Ankündigung der Vertrauensfrage am 22. Mai aus dem Fernsehen erfahren. Die Abgeordneten seien bei der Abstimmung über die »fingierte« Vertrauensfrage Schröders nicht ernst genommen worden: »Ich muss hinnehmen, wenn jemand aus der Verantwortung flieht. Was ich nicht gut finde, ist wenn hier über 100 zu Fluchthelfern gemacht werden.«
Köhlers Fernsehansprache habe ihn »enttäuscht«, weil dieser sich - ohne Zweifel anzumelden - der Begründung Schröders angeschlossen habe. Der Präsident habe sich zum »Vollzugsbeamten« gemacht. Der ehemalige DDR-Bürgerrechtler betonte, Rot-Grün habe immer eine stabile Mehrheit gehabt - bei einer Umsetzung der im Wahlprogramm der SPD formulierten Pläne wäre diese auch weiter gesichert gewesen.
Mit Jelena Hoffmann, deren Argumente sich mit seinen träfen, habe er sich nicht abgestimmt, sagte Schulz. Die SPD-Abgeordnete erklärte, Schröders Vertrauensfrage sei nicht nur »unecht« gewesen, »sie ist auch unehrlich abgelaufen«.
Die »Anarchistische Pogo Partei Deutschlands« sowie die Partei »Pro Deutsche Mitte« des Euro-Kritikers Bolko Hoffmann legten bereits Beschwerde gegen den Wahltermin 18. September ein, wie eine Sprecherin des Verfassungsgerichts sagte. Sie machten geltend, dass es ihnen so nicht möglich sei, die für eine Zulassung notwendigen Unterschriften zusammenzubekommen.
Als wahrscheinlich gilt nun, dass der Zweite Senat in Karlsruhe zunächst rasch eine mündliche Verhandlung anberaumt - möglicherweise in der ersten, spätestens in der zweiten Augustwoche. Dann wäre ein Urteil Ende August oder spätestens in den ersten Septembertagen zu erwarten.

Artikel vom 23.07.2005