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Idylle und Verbrechen
im ländlichen Wales

»Eve Green« - der neue Roman im WESTFALEN-BLATT

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). »Ich habe es wahnsinnig gern gelesen!«, gestand Elke Heidenreich. »Es« ist das Debüt der jungen Engländerin Susan Fletcher - und von Montag, 25. Juli, an können Sie im WESTFALEN-BLATT ihren Roman »Eve Green« lesen.
Für ihren Erstling erntete Susan Fletcher viel Lob.

Evangeline - das ist ein Name aus fünf Vokalen und fünf Konsonanten und gar nicht so leicht zu schreiben. Wenn man sieben Jahre alt ist. Doch in genau diesem Alter schreibt Evangeline Green, genannt Eve, ihren Namen überall hin, sie holt sich einen Sonnenbrand, und sie verliert ihre Mutter.
So unberechenbar ist das Leben; mindestens jedoch für Susan Fletchers Schreibstil typisch ist die enge Verknüpfung unbeschwerter Textpassagen mit melancholisch stimmenden Ereignissen im Dasein ihrer kleinen Heldin. Eve, die selbst aus ihrer Kindheit erzählt, ist inzwischen Ende Zwanzig und hochschwanger - und das werdende Leben beflügelt sie, noch einmal tief in ihre Familiengeschichte einzutauchen.
Zum Glück ist die Autorin keine alles verstehende, alles erklärende, streng dozierende Psychologin, sondern eine ganz feine Erzählerin, die ihre Beobachtungen mit viel Gefühl für Stimmungen leicht aufs Papier tupft. Und so gelingt der 26-Jährigen aus Birmingham (dort lebt zunächst auch die kleine Eve) eine wunderbare Liebeserklärung an Wales (wohin Eve nach dem Tod der Mutter kommt), ein literarischer Kuss auf die Wange aller Großeltern dieser Welt, ein Ständchen auf das einfache Leben.
Und das ganz ohne in Rührseligkeit zu verfallen.
Mag Eve auch ihre Mutter verlieren, so gewinnt sie doch unter dem weiten walisischen Himmel, aus dem der Regen manchmal »wie Rollsplitt« fällt, ein Stückchen Freiheit. Die Menschen sind freundliche Dörfler, aber trotzdem verschwindet aus ihrer Mitte ein Mädchen, deren Leiche man niemals findet. Jemand legt Blumen vor Eves Tür ab, doch von einer solchen Geste liebevoller Nähe kann der nach einem Pferdetritt verunstaltete (und vielleicht psychisch leicht deformierte) Außenseiter Billy nur träumen.
Aber Billy weiß etwas. Und wenn es etwas über den Mann ist, den Eve nie gesehen hat, der aber ihr Vater ist . . .
Für »Eve Green«, ihren packenden Roman, in dem sie zarte Augenblicke wie mit einem Schmetterlingsnetz einfängt, erhielt Susan Fletcher den »Whitbread First Novel Award« 2004. Jedes Jahr verleiht eine Jury den angesehenen Preis (5000 britische Pfund) für einen besonders gelungenen literarischen Erstling - völlig zu Recht, wie die Kritiker enthusiastisch befanden: »Die Sprache ist lyrisch, die Charaktere sind voller Leben, und die Story lässt einen keinen Moment los«, notierte begeistert die schwedische Erfolgsautorin Marika Cobbold (»Guppies zum Tee«).
Susan Fletcher hat mit diesem Buch alle Skeptiker Lügen gestraft, die glauben, die Schriftstellerei können man nicht lernen. Die Engländerin absolvierte nämlich zuvor einen Schreibkurs - allerdings war das in diesem Fall der prestigeträchtige Creative Writing Course an der University of East Anglia (UEA) im nordenglischen York.
Die inzwischen fast überall in Europa gepriesene Jungautorin wuchs in Solihull auf, einem Kaff in den West Midlands, wenige Kilometer südlich der Industriemolochs Birmingham. Nach dem Besuch einer reinen Mädchenschule erwarb Susan Fletcher den Bachelor of Arts (BA) im Fach Englisch, nur um ihrer Heimat für die Dauer eines Jahres cheerio zu sagen: Der abenteuerlustigen Akademikerin stand der Sinn nach einem Trip durch Australien und Neuseeland.
Zurück aus der Wildnis, sattelte Susan Fletcher den Master of Arts (MA) drauf - und schrieb »Eve Green«. Heute lebt sie in Stratford on Avon, und Kenner wissen: Dort lebte und wirkte Shakespeare . . .
»Eve Green« (350 Seiten, 19,90 Euro) erscheint im Berlin-Verlag, der im Frühjahr 1994 gegründet wurde und seine ersten Bücher im März 1995 edierte. Der junge Verlag legt einen Schwerpunkt auf international bekannte Literatur, unter denen die Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer und die Bestseller-Autoren Margaret Atwood und Péter Esterházy zu finden sind. An erster Stelle der deutschsprachigen Schriftsteller des Berlin-Verlags dürfte Elfriede Jelinek zu nennen sein - auch sie Trägerin de Literaturnobelpreises.

Artikel vom 23.07.2005