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 Radprofi Jörg Ludewig  MeinTour-Tagebuch


Bonjour!
Also die 19. Etappe war noch mal richtig Männerradrennen. Und ich bin sooo platt. Die Sitzprobleme fangen an, ich habe Zahnschmerzen, mich plagt eine Zerrung im Gesäßmuskel, und heiser bin ich auch. So langsam ist die Substanz restlos aufgezehrt. Ich wiege nur noch 69 Kilo, meine Pulswerte sind im Eimer. Ich will nur nach nach Paris und dann nach Hause!
Auf den ersten 20, 30 Kilometern hatte ich alles probiert und viele Attacken mitgefahren. Es hat einfach nicht geklappt. Dabei habe ich wohl zu viele Körner rausgehauen. Jedenfalls war es anschließend eine totale Quälerei, im Peloton zu bleiben. Es war ein ständiges Bergauf und Bergab, kleine Straßen, mal rechts, mal links. Nachdem die Ausreißer weg waren, hat der Armstrong-Express wieder alles kontrolliert, aber es gab diesmal keinen Schongang. Die treten auch mit Tempo 35 einen Achtprozenter hoch, ohne mit der Wimper zu zucken. Meine Moral war dahin. Und ihr wisst ja: Wenn du Moral hast, tut dir nichts weh. Der Zielstrich war eine echte Erlösung.
Für den Sieger Beppe Guerini freut es mich. Wie er auf der Zielgeraden aus der Vierergruppe raus ist, war absolut eine taktische Meisterleistung. Beppe ist der Typ »loyaler Helfer« und einer der Nettesten im Feld. Wenn du Durst und nichts mehr zu trinken hast, gibt der dir auch bei 40 Grad noch die Hälfte seiner Flasche ab. Die T-Mobiles sind ganz gut unterwegs. Jetzt müsste Ulle nur den Sprung aufs Podium schaffen. Ich wünsche ihm, dass er ein super Einzelzeitfahren raushauen kann. Ich selbst will nur kontrolliert durchkommen, damit ich keine Zeit im Klassement verliere und genug Körner aufspare.
Die Tour ist ja ein Platz des Fahrerkarussells, das sich jetzt schon für die neue Saison dreht. Ich habe hier zwar Kontakte gepflegt, mich aber aufs Radrennen konzentriert und mit anderen Teams keine Verhandlungen angestoßen. Domina Vacanze hat Alessandro Petacchi verpflichtet, der mit mehreren anderen von Fassa Bortolo kommt. Das wird dem Team sicher gut tun und für eine weitere Professionalisierung sorgen. Auch ich spreche mit dem Team über meine Zukunft. So wie ich die Tour gefahren bin, ist sie ein gutes Argument. Mal sehen.

Artikel vom 23.07.2005