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Eltern Sorgerecht entzogen

Kinder werden notfalls mit Staatsgewalt zur Schule gebracht

Von Ernst-Wilhelm Pape
Paderborn (WB). Das Familiengericht Paderborn hat zwei Elternpaaren das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen. Durch diese Maßnahme soll sichergestellt werden, dass die Kinder nach den Sommerferien zur Schule gehen.

Das Stadtjugendamt Paderborn wurde ermächtigt, die Herausgabe der Kinder notfalls mit staatlichen Mitteln zu erzwingen.
Wie berichtet, weigern sich sieben strenggläubige baptistische Elternpaare aus den Kreisen Paderborn und Höxter seit einem Jahr, ihre 16 Kinder aus religiösen Gründen zu einer staatlichen Schule zu schicken. Die Eltern, die aus Kasachstan stammen, unterrichten ihre Mädchen und Jungen zu Hause. Sie beharren darauf, dass die gesamte Erziehungsverantwortung vor Gott ausschließlich ihnen als Eltern gegeben ist. Betreut werden die 16 Kinder von der Philadelphia-Schule (freies christliches Heimschulwerk) in Siegen.
Schulleiter Helmut Stücher (71), der als Pionier der deutschen Heimschulbewegung gilt, sprach im Paderborner Fall von einem totalen Fehlgriff der Behörden. Bereits im Jahr 1983 sei auch ihm das Sorgerecht für seine Kinder entzogen worden. Ebenso wie in einem zweiten Fall in Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh) im Jahr 2000 seien die Behörden mit der Ankündigung der Brachialgewalt aber gescheitert. Auch die baptistischen Eltern in den Kreisen Paderborn und Höxter ließen sich durch die Drohung, das Sorgerecht zu entziehen, nicht einschüchtern.
Stücher forderte die Schulämter auf, den Unterricht zu Hause stillschweigend zu dulden und zu überwachen sowie die Leistungen der Kinder zu prüfen. Fälle von Duldung gebe es schon in NRW, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg. Stücher: »Die Behörden sollten die Eltern endlich in Ruhe lassen.« In Deutschland würden derzeit 500 Kinder zu Hause unterrichtet. Allein 300 würden von der Philadelphia-Schule betreut.
Der einstweiligen Anordnung zum Entzug des Sorgerechtes seien zahlreiche Gespräche mit den Eltern sowie Bußgeld- und Zwangsgeldverfahren vorausgegangen, teilte der Vizepräsident des Landgerichtes Paderborn, Wolf-Dietrich Frank, dieser Zeitung mit. Die betroffenen Kinder müssten vor weiterem Schaden bewahrt werden. Die Eltern missachteten hartnäckig den staatlichen Erziehungsauftrag. Auch das Recht der Kinder auf altersgemäße Förderung der Entwicklung ihrer Persönlichkeit durch Schulbesuch, Teilnahme an der Offenheit und Vielfältigkeit der Gesellschaft sowie der Vorbereitung auf ein eigenverantwortliches Leben würden missachtet. Der Erziehungsanspruch der Kinder erschöpfe sich nicht in der reinen Wissensvermittlung. Frank: »Eltern sind keine Vorbilder, wenn sie ihren Kindern vorleben, staatliche Gesetze nicht beachten zu müssen, wenn man von deren Richtigkeit nicht überzeugt ist.« Wenn die Eltern den Schulbesuch, der jetzt von einem Pfleger des Jugendamtes organisiert werde, nicht verhinderten, könnten eine Heimunterbringung der Kinder und die schmerzliche Trennung von der Familie vermieden werden. Seite 4: Kommentar

Artikel vom 21.07.2005