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Die Situation in Afghanistan
ist nicht mehr hoffnungslos

Parlamentswahlen am 18. September - Brok informierte sich in Kabul

Von Dirk Schröder
Bielefeld/Kabul (WB). Am 18. September stehen zwei Wahlen ins Haus - in Deutschland, aber auch in Afghanistan. Beide sind wichtig für die Zukunft des jeweiligen Landes. Doch vor allem am Hindukusch steht viel auf dem Spiel: Dort entscheidet sich in zwei Monaten, ob das Land überhaupt noch eine Chance hat, sich aus dem Sumpf von Extremismus, Elend und Drogen zu befreien.
Die Parlamentswahlen in Afghanistan am 18. September werfen ihre Schatten voraus. Mit diesen Plakaten wird bei der Bevölkerung dafür geworben, sich für die Wahlen registrieren zu lassen. Foto: Reuters
Delegationsleiter Elmar Brok (2.v.r.) beantwortet in Kabul zusammen mit seinen Parlamentskollegen Fragen. Von links: Emilio Menéndez (Spanien), Pawel B. Piskorski (Polen), Nirj Deva (Großbritannien), Brok und Luisa Morgantini (Italien).

Seit dem vergangenen Jahr hat das Land mit Hamid Karsai einen demokratisch legitimierten Präsidenten, am 18. September könnte ein frei gewähltes Parlament hinzukommen. »Die Afghanen müssen diese extrem wichtige Wahl mit unserer Hilfe unbedingt hinkriegen«, erläuterte der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Europaparlaments, Elmar Brok, gegenüber dieser Zeitung. 11,5 Millionen Euro hat die EU bereitgestellt, die helfen sollen, die Wahl abzuhalten. Der Bielefelder CDU-Politiker ist gerade mit einer Delegation des Europaparlaments und vorsichtigem Optimismus aus dem immer noch instabilen Land zurückgekommen.
Seine Eindrücke fasste Brok so zusammen: »Bisher war ich der Auffassung, für Afghanistan sei die Lage hoffnungslos, jetzt sehe ich eine gute Chance.« Mit frei gewähltem Präsidenten und Parlament hätte das Land eine breite demokratische Legitimität. Die Wahl könne aber nur ein Erfolg werden, wenn sie frei von Bomben und Terror durchgeführt wird.
Vor diesem Hintergrund ist auch die vor allem von den Taliban neu entfachte Gewalt in Afghanistan zu verstehen. Sie haben schon die Präsidentenwahl 2004 nicht verhindern können. Jetzt bekämpfen sie die Parlamentswahlen. Brok: »Die Feinde der Demokratie sehen ihre letzte Chance, diese zu verhindern. Ich glaube daran, dass es am 18. September freie und demokratische Wahlen geben wird. Sie können den Urnengang nicht mehr aufhalten und verlieren damit weiter an Einfluss.« Entsprechend sieht die traurige Bilanz der Gewalt allein der vergangenen drei Monaten aus: Mehr als 400 Menschen wurden getötet.
Brok schätzt die Sicherheitslage, abgesehen vom Südosten des Landes, heute insgesamt bedeutend besser ein als noch vor einem Jahr. 90 Prozent der Angriffe geschehen im Südosten entlang der Grenze zu Pakistan, wo die Taliban versucht, ihre Position zu festigen.
Eine undurchsichtige Rolle spielt dabei auch Pakistan. Zwar hat Präsident Pervez Musharraf erst vor kurzem unter dem Eindruck der Londoner Anschläge eine Kontrolle der Koranschulen in seinem Land versprochen. Mit Hasspredigten gegen den Westen und für den Heiligen Krieg sollte Schluss sein. Doch so recht nimmt ihn dies niemand ab. Analytiker der International Crisis Group schrieben vor einiger Zeit: »Musharraf praktiziert nicht, was er predigt.«
Brok hat bei seinen Gesprächen in Kabul immer wieder diesen Eindruck bestätigt bekommen. »Die Pakistanis geben den Terroristen ein Stück freie Hand.« Es sei ja bekannt, dass Pakistan 2001 die Absicht gehabt habe, Afganistan zu destabilisieren und anschließend zu übernehmen. Noch immer seien zwei Millionen afghanische Flüchtlinge in Lagern in Pakistan. Aus diesen Reihen rekrutierten die Terroristen ihre Gefolgsleute.
Natürlich sei das übrige Land nicht komplett sicher, betonte der Europapolitiker. Die Kriminalität sei immer noch hoch, und vor Kidnapping sei niemand sicher. Doch in der Hauptstadt Kabul finde bereits wieder richtiges und pulsierendes Leben statt.
Brok sieht für die westliche Welt, für die Europäische Union die große Chance, ein moslemisches Land wie Afghanistan auf einen gemäßigten Pfad zu führen. »Wenn die jungen Leute eine Perspektive sehen, werden sie nicht zu den Radikalen überlaufen.« Es brauche nicht viel, den Menschen, die unvorstellbar tief im Dreck steckten, wieder einen Lebensinhalt zu geben. Der CDU-Politiker nannte hier vor allem wirtschaftliche Hilfe und medizinische Betreuung. »Die Afghanen habe die Nase voll. Sie wollen einfach nur in Frieden leben.«
Ähnliches gilt für die vielen Bauern im Land, die Drogen anbauen. Afghanistan ist inzwischen zum weltweit größten Opium-Lieferanten geworden, 90 Prozent des europäischen Marktes werden von hier aus gespeist. Zwar profitieren die Bauern am wenigsten von dem Milliarden-Geschäft, doch ist der Drogenanbau für sie in den meisten Fällen die einzige Möglichkeit, um zu überleben. Brok: »Es hilft nur wenig, die Drogenfelder abzubrennen, wir müssen den Bauern andere Produkte anbieten, die sie anbauen können.«
Der Europapolitiker rechnet damit, dass das westliche Militär noch 15 bis 20 Jahre im Land bleiben muss. Imponiert hat ihn, wie die Bundeswehr innerhalb der von der NATO geführten internationalen Schutztruppe (ISAF) ihren Auftrag ausführt. Brok: »Keiner der Soldaten hat gemosert, sie nehmen ihre Aufgabe sehr ernst und wissen, wie wichtig sie ist.«

Artikel vom 21.07.2005