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Leitartikel
Der Nahost-Konflikt

Abbas oder Hamas: Wer
gewinnt?


Hartnäckiger Widerstand der Gaza-Siedler gegen Ariel Scharons Abzugspläne, Schießereien zwischen Kämpfern der terroristischen Palästinenser-Organisation Hamas und den Sicherheitskräften von Präsident Mahmud Abbas: Was in den vergangenen Tagen zu einer Katastrophe in der plötzlich verkehrten Welt des Nahen Ostens zu werden drohte, hat sich über Nacht etwas beruhigt. All das ist aber nur ein positives Intermezzo vor den Tagen der Räumung des Gazastreifens.
Israels Ministerpräsident Ariel Scharon hat immer wieder klar- gemacht, dass er seine Abzugspläne gegen alle Widerstände durchsetzen will. Das würde ihm Anerkennung der internationalen Gemeinschaft bringen, aber auch Vertrauen bei großen Teilen der palästinensischen Bevölkerung. Ihnen könnte er sich als Mann präsentieren, auf dessen Wort man sich verlassen kann.
Das weitaus schwerere Stück Arbeit aber kommt auf Mahmud Abbas zu. Er muss dafür sorgen, dass im Gazastreifen nach einem Abzug der Israelis nicht Anarchie ausbricht. Bisher ist es seinen Sicherheitskräften nicht gelungen, die Extremisten der radikalen Hamas-Organisation zu entwaffnen.
Hamas hat in der Bevölkerung des Gazastreifens großen Rückhalt. Hamas ist nicht nur die Gruppierung fanatischer Kämpfer gegen Israel, sondern hat in der verarmten Gaza-Region auch soziale Hilfsdienste organisiert und unterhält Schulen. Ihre Führer geißelten die Korruption in der Palästinenser-Spitze, die lange Jahre Hilfsgelder in private Kanäle umleiteten. Die Menschen in Gaza sind trotz aller Bemühungen von Präsident Mahmud Abbas, diese Dinge abzustellen, weiterhin skeptisch gegenüber der Führung in Ramallah. In der Gaza-Region hält die Hamas-Führung faktisch die Fäden in der Hand.
Abbas muss es gelingen, mit seinen Polizeieinheiten im Gazastreifen einen geordneten Rückzug der israelischen Siedler zu ermöglichen und die Region unter seine Kontrolle zu bringen.
Der gesamte Entspannungsprozess zwischen Israelis und Palästinensern würde einen entscheidenden Rückschlag erleiden, wenn die Hamas-Extremisten Gaza gänzlich unter ihre Kontrolle bringen könnten. Das wäre für Abbas verheerend. Ministerpräsident Ariel Scharon würde es niemals zulassen, dass Gaza zu einem Tummelplatz palästinensischer Terroristen wird. Eine derartige Bedrohung israelischer Sicherheitsinteressen hätte zur Konsequenz, dass Scharon in Gaza wieder militärisch vorgehen und das gesamte Gebiet erneut hermetisch abriegeln würde.
Ohne einen dauerhaften Zugang der Menschen nach Israel und in das Westjordanland wäre die Region um Gaza allerdings nicht lebensfähig. Nur durch die Arbeitsplätze in Israel und die Verbindung zu Handwerk und Industrie im Westjordanland könnte es eine wirtschaftliche Entwicklung geben, die dem Terrorismus den Nährboden entzieht.
Wenn Abbas die Extremisten nicht zum Einlenken bringt, scheitert der Friedensprozess, bevor er erste Früchte bringen kann.

Artikel vom 21.07.2005