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»Wirtschaft versinkt in Korruption«

Bielefelder Kriminologin Britta Bannenberg fordert schärfere Kontrollen

Bielefeld (WB/ef/dpa). Betrugs-Affäre bei Volkswagen, Schmiergeld-Skandal beim Chiphersteller Infineon und Bestechung beim Süßenwarenhersteller Storck: Das sind nur drei aktuelle Beispiele von Wirtschaftskriminalität. Die Spitze des Eisbergs?
»Sicher keine Einzelfälle«, sagt Professorin Britta Bannenberg.

»Das sind ganz sicher keine Einzelfälle«, sagt die renommierten Bielefelder Kriminologie-Professorin Britta Bannenberg. Nach ihrer Einschätzung drohe die deutsche Wirtschaft in Korruption zu versinken. »Bei neun von zehn Unternehmen werden Sie fündig, in mehr oder weniger großem Umfang«, sagt die Wissenschaftlerin. Bestehende Kontrollmechanismen versagten völlig.
»Die Strukturen haben sich verselbstständigt«, sagt sie mit Blick auf Netzwerke von Scheinfirmen und verdeckte Geldwäsche-Aktivitäten von Manager-Ehefrauen und Geliebten. Bannenberg ist gemeinsam mit dem Anti-Korruptions-Staatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner Autorin des viel beachteten Buches »Korruption in Deutschland: Porträt einer Wachstumsbranche«. Schaupensteiner hatte den volkswirtschaftlichen Schaden durch Korruption in Deutschland auf 350 Milliarden Euro pro Jahr beziffert.
Bei den Tätern handele es sich längst nicht mehr um einzelne gierige Personen. »Es sind die Leistungsträger«, sagte Bannenberg. »Sie bilden sich ein, sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen zu können.« Die Bereitschaft der Unternehmen, gegen bereits etablierte Systematiken von Schmiergeldzahlungen und persönlicher Vorteilsnahme anzugehen, sei spärlich ausgeprägt.
Zwar würden ertappte Manager öffentlichkeitswirksam vor die Tür gesetzt. Dann zahle jedoch die Firma Anwaltskosten und Kautionen für sie. »Ehefrauen und Kinder werden mit Schweigegeld ruhig gestellt«, sagt die Professorin. Häufig mache ein- und derselbe Manager wenig später in einer Tochtergesellschaft des Konzerns erneut Karriere. Opfer seien oft Unwissende, die gar nicht mitbekommen, warum etwa Aufträge an ihrer Firma vorbeigehen.
Bannenberg fordert dazu auf, die Kontrollen gegen Korruption in den Unternehmen wirksam zu verstärken. »Wir brauchen keine Kontrollen, die ihren Namen nicht verdienen.« Das Risiko, entdeckt zu werden, müsse erhöht werden.
Zudem sieht sie großen Forschungsbedarf. Es sei »auffällig merkwürdig«, dass es so wenig Kriminalitätsstudien gebe.

Artikel vom 20.07.2005