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Köhler löst Bundestag auf

Wahl am 18. September Ê- »Dem Wohl des Volkes am besten gedient«

Berlin (dpa/Reuters). Bundespräsident Horst Köhler hat gestern den Bundestag aufgelöst und Neuwahlen am 18. September angesetzt. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte den Präsidenten am 1. Juli nach der verlorenen Vertrauensfrage um die Auflösung des Parlaments ersucht.

Köhler begründete diesen historischen Schritt gestern Abend in Berlin mit den »gewaltigen Aufgaben«, vor denen Deutschland stehe. Dafür müsse die Regierung handlungsfähig sein. Er machte in seiner Fernsehansprache deutlich, er teile die Auffassung von Bundeskanzler Schröder, dass dieser nicht mehr das nötige stetige Vertrauen der Mehrheit im Parlament habe. »Ich sehe keine andere Lagebeurteilung, die der Einschätzung des Bundeskanzlers eindeutig vorzuziehen ist.«
Köhler sagte, er sei überzeugt, dass die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Auflösung des Bundestags gegeben seien. »Dem Wohl des Volkes ist mit einer Neuwahl am besten gedient.« Er rief die Bürger zu einem sorgsamen Gebrauch des Wahlrechts auf. »Jetzt haben Sie es in der Hand.« Demokratie heiße, »die Wahl zu haben zwischen politischen Alternativen«.
Schröder hatte gestern seinen Urlaub unterbrochen und war am Nachmittag nach Berlin zurückgekehrt. Damit die Auflösung des Bundestages in Kraft treten kann, musste Schröder die Entscheidung Köhlers gegenzeichnen. Der Präsident hatte knapp drei Wochen geprüft, ob er dem Vorschlag Schröders folgen soll und dessen umstrittenes Vorgehen für Neuwahlen damit als verfassungskonform betrachtet.
Der Kanzler würdigte die vom Bundespräsidenten beschlossene Auflösung des Bundestages als »souveräne Entscheidung.« Die große Mehrheit der Bevölkerung wolle eine Neuwahl.
Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel (CDU) rief die Deutschen dazu auf, die Auflösung des Bundestags als Chance für einen Neuanfang zu nutzen. Deutschland nutze zur Zeit seine Möglichkeiten nicht, sagte sie.
Ob es allerdings tatsächlich zu Neuwahlen kommt, ist noch nicht sicher. Die Bundestagsabgeordneten Werner Schulz (Grüne) und Jelena Hoffmann (SPD) haben bereits angekündigt, gegen Köhlers Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht zu klagen. Beide halten das Vorgehen des Bundeskanzlers für verfassungswidrig. Somit liegt die letzte Entscheidung bei den Karlsruher Richtern.
Bereits vor Köhlers Entscheidung hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sich dafür ausgesprochen, in der nächsten Wahlperiode ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages im Grundgesetz zu verankern. Dabei sollte die erforderliche Parlamentsmehrheit für eine Auflösung des Bundestages bei zwei Drittel oder drei Viertel der Abgeordneten liegen, um den Missbrauch einer solchen Neuregelung ausschließen zu können.
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Artikel vom 22.07.2005