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Erst fix, dann fertig: Ludewig fährt sogar Armstrong davon

Tour de France: Der Steinhagen wird Siebter, Ullrich kann nicht aufholen

Von Hans Peter Tipp
Bielefeld (WB). Es war der Tourtag seines Lebens, und doch trauerte Jörg Ludewig nach seinem siebten Platz - 1:03 Minute vor Lance Armstrong - dem verlorenen Etappensieg hinterher. »Gute Platzierungen interessieren außer mir, meiner Familie und ein paar Freunden in OWL doch niemanden. Hier interessieren die Trikots und ein Etappensieg - den habe ich heute verpasst«, sagte der Steinhagener gestern nach der 16. Etappe der 92. Tour de France.

Den Tagessieg sicherte sich in Pau der Spanier Oscar Pereiro, in der Spitze der Gesamtwertung blieb alles beim Alten. Lange stand das Rennen im Zeichen des Australiers Cadel Evans, der sich beim Anstieg zum Col d'Aubisque, mit 1706 Metern gestern höchster Punkt, von seinen neun Mitausreißern, darunter auch Ludewig verabschiedete. »Da habe ich einen Freund verloren«, kommentierte Ludewig hinterher im Ziel, fix und fertig auf seinem Lenker lehnend, jene Attacke. Der Australier machte damit aus einem bei Kilometer 26 begonnenen, gemeinsamen Ausreißversuch einen Kampf Jeder gegen Jeden.
Zig Kilometer später hatte sich dann eine Spitzenquartett gefunden -Êohne Ludewig, der krampfhaft um den Anschluss kämpfte und von allen Fahrern am meisten gab. Als sich der Belgier Pierre Gilbert an der letzten Bergwertung des Tages, am Côte de Pardies-Pietat, von den anderen Verfolgern davonstehlen wollte, war es Ludewig, der das Loch zufuhr.
Im Sprint der Verfolger um Platz fünf landete der 29-Jährige auf sieben -Ê beste Tourtagesplatzierung seiner Karriere und bester Deutscher an diesem Tag. Doch all das konnte Ludewig kaum trösten. Er wollte Geschichte schreiben, so wie es ihm am Tag zuvor Radlegende Rudi Altig bei einem Besuch im Mannschaftshotel, das er nur wegen des Steinhageners aufgesucht hatte, empfohlen hatte.
»Du musst es probieren, du gehörst nicht zum Trümmerhaufen, du kannst was erreichen«, hatte ihm Altig, in seiner aktiven Zeit ein ähnlicher Angreifertyp wie Ludewig, gesagt. Und der Star von einst hatte an den Kampfgeist des Profis von heute appelliert: »Du musst fahren, du musst treten, selbst wenn du das Blut schon in der Kehle spürst -Êimmer treten. Den Anderen tut es genauso weh.«
Der Radprofi aus Steinhagen, der seit dieser Saison -Êwie noch immer nicht überall bekannt -Êfür das italienische Team Domina Vacanze fährt, hörte auf den Rat des alten Meisters. Und auch in einer ersten Stellungnahme gingen ihm Altigs Worte noch durch den Kopf: »Heute habe ich Blut geschmeckt. Aber es gibt nichts Schöneres, als bei der Tour in einer Ausreißergruppe vor dem Feld zu fahren.«
Zum historischen Sieg reichte es für Ludewig zwar nicht, doch der 29-Jährige erfüllte sich sein letztes Ziel bei seiner dritten Tour: einmal die richtige Gruppe erwischen, einmal alles zeigen, einmal im Mittelpunkt stehen. Das hat er gestern geschafft: Als einziger Deutscher fuhr er stundenlang vorn und sorgte dafür, dass sein Name und der seines Heimatortes Steinhagen so oft im deutschen Fernsehen fielen wie vermutlich seit jener Alpenetappe nicht mehr, als er vor zwei Jahren seinen damaligen Boss Gilberto Simoni nach L'Alpe d'Huez eskortierte. Der unmittelbare Lohn für die Plackerei fiel bescheiden aus: Ludewig gewann die Bergwertung der ersten Kategorie am Col de Marie-Blanque und sammelte insgesamt 28 Berg- sowie 9 Sprintpunkte. Dafür erhalten Radprofis allerdings nirgendwo Rabatt.
Aber vielleicht zahlt sich dieser mächtige Ritt durch die Pyrenäen auf Dauer doch noch aus - wenn es bei einem neuen Rennstall um einen neuen Vertrag geht.
Jan Ullrich und Alexander Winokurow versuchten auf dieser letzten Bergetappe erneut, Zeit gut zu machen, auf Armstrong, Ivan Basso (2:46 Minuten zurück) oder Mickael Rasmussen (3:09). Alle gut gemeinten Attacken verpufften jedoch ohne Resultat.

Artikel vom 20.07.2005