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»Ehrlich mit dem Islam auseinandersetzen«

Falsches Toleranzverständnis vieler Christen - Religion darf nicht tabuisiert werden


Zu dem Beitrag »Debatte über Islam notwendig«:
Ihr Leitartikler Jürgen Liminski hat recht: Wir sollten uns mit dem Islam ehrlicher auseinandersetzen. Aber die entscheidende Frage lautet: Von welchem Standpunkt aus wollen wir das tun?
In Ihrer Beilage »Werte und Wandel« spricht ein junges Mädchen von »einem eigentlich christlichen Land« - und beklagt, dass es sich häufig in seinem Glauben sehr allein fühlt: »Für jede noch so eigenartige Lebensweise wird Toleranz verlangt. Nur nicht, wie mir scheint, für gläubige Christen.« Diese Intoleranz habe sie oft regelrecht verletzt.
Wohlgemerkt: die Intoleranz ihrer eigenen Landsleute. Für Muslime ist Religion kein Tabuthema. »Ich bin stolz auf meinen Glauben«, sagte eine junge Muslimin sehr selbstverständlich meiner Tochter gegenüber. Sie sei in dieser Lehre groß geworden. Es sei ein wichtiger Teil ihres Lebens geworden.
Aber sie beklagte, dass sie in all den Jahren in Deutschland nicht einen einzigen Christen getroffen habe, der dasselbe von seinem Glauben sage - und mit dem sie sich über seinen Glauben hätte austauschen können.
Das offene Gespräch über den Glauben, der ein wichtiger Teil meines Lebens ist, ist mit Muslimen beinahe eher möglich als mit Nachbarn, Arbeitskollegen, ja, manchmal gar mit Familienangehörigen. Und komme ich dann auf meine persönlichen Erfahrungen zu sprechen, die ich in meinem Leben mit Jesus Christus mache, bin ich nicht bei den Muslimen, aber unter uns (sogenannten) Christen schon verdächtig nahe am Fundamentalismus.
Wir sollten uns deshalb informieren über den Islam. Aber wir sollten gleichzeitig nachdenken über unseren Standpunkt, unsere eigenen Werte, über unser Christsein. Wie können wir sonst kritische Fragen stellen?
Gerade im unumkehrbaren Zusammenleben mit Millionen von Menschen, die ein ungebrochenes Verhältnis zu ihrer Religion haben, gilt wohl das Wort, mit dem jemand anderer unser falsches Toleranzverständnis kritisierte: »Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.«
HANS-JOCHEN NIEHAUS
37671 Höxter

Artikel vom 09.08.2005