19.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Ein deutscher Pass verhindert
die Auslieferung ins Ausland

Bundesverfassungsgericht erklärt Gesetz über EU-Haftbefehl für nichtig

Karlsruhe (dpa). Mutmaßliche Straftäter mit deutschem Pass dürfen vorerst nicht mehr ans Ausland ausgeliefert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zum Europäischen Haftbefehl gestern für nichtig erklärt. Damit muss der Gesetzgeber ein neues Gesetz erlassen, um den EU-Haftbefehl in deutsches Recht umzusetzen.
Deutschland hatte 2004 erstmals die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an EU-Staaten erlaubt.

Das Karlsruher Gericht gab der Verfassungsbeschwerde des unter Terrorverdacht stehenden Deutsch-Syrers Mamoun Darkazanli statt, der nach Spanien ausgeliefert werden sollte. Karlsruhe hatte dies Ende 2004 vorläufig gestoppt. Darkazanli wurde noch gestern freigelassen.
Deutschland hatte mit dem vereinfachten Auslieferungsverfahren im August 2004 erstmals die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an EU-Staaten erlaubt. Nach dem Urteil des Zweiten Senats hat der Gesetzgeber jedoch zu wenig Vorkehrungen für den Schutz der Grundrechte deutscher Tatverdächtiger getroffen.
Der EU-Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl aus dem Jahr 2002, auf den das Gesetz zurückgeht, lasse dafür genügend Spielraum. Damit ist die Auslieferung Deutscher nicht mehr möglich, solange der Bundestag kein neues Gesetz erlässt. Den EU-Rahmenbeschluss selbst ließ der Senat unbeanstandet.
Nach den Worten der Richter scheidet nach Artikel 16 Grundgesetz eine Auslieferung eines Deutschen grundsätzlich aus, wenn er eine Straftat auf deutschem Boden begangen hat und dafür - etwa, weil das Opfer Ausländer war - von einem anderen EU-Staat verfolgt wird. Dieser Schutz gelte schon deshalb, weil er das Strafrecht anderer Staaten nicht kennen müsse und sich dort zudem, etwa wegen mangelnder Sprachkenntnisse, nicht wirksam verteidigen könne.
Bei Taten mit »maßgeblichem Auslandsbezug« könnten dagegen - ein neues Gesetz vorausgesetzt - auch Verdächtige mit deutschem Pass an die Justizbehörden anderer Länder überstellt werden. Wer in einer anderen Rechtsordnung handle, müsse damit rechnen, dort zur Verantwortung gezogen zu werden.
Ein solcher Auslandsbezug liege auch bei grenzüberschreitender Kriminalität vor, wie etwa beim internationalem Terrorismus oder beim organisierten Drogen- oder Menschenhandel. »Wer sich in solche verbrecherische Strukturen einbindet, kann sich auf den Schutz der Staatsangehörigkeit vor Auslieferung nicht in vollem Umfang berufen.«
Zugleich mahnten die Karlsruher Richter einen stärkeren Rechtsschutz gegen Auslieferungsentscheidungen an und forderten eine konkrete Prüfung in jedem Einzelfall. Nach Angaben der Bundesregierung bei der mündlichen Verhandlung im April sind bisher 19 Deutsche an EU-Staaten überstellt worden.
Der Gesetzgeber kann den geforderten besonderen Schutz für Deutsche garantieren, ohne gegen den EU-Rahmenbeschluss zu verstoßen, wie der Senat unter Vorsitz von Winfried Hassemer deutlich machte. Die EU-Vorgaben erlaubten die Verweigerung der Auslieferung bei Taten in Deutschland ebenso wie einen stärkeren Rechtsschutz in Fällen, in denen gegen den Verdächtigen bereits in Deutschland ermittelt wird. In der Verhandlung war deutlich geworden, dass mehrere Rechtsexperten unter den Bundestagsabgeordneten bei der Verabschiedung des Gesetzes diesen Spielraum übersehen hatten.
Drei der acht Richter formulierten abweichende Meinungen. Siegfried Broß sprach sich generell gegen eine Auslieferung Deutscher aus, Michael Gerhardt votierte für eine Bestätigung des Haftbefehlgesetzes. Gertrude Lübbe-Wolff monierte Defizite beim Grundrechtsschutz, wollte das Gesetz aber bis zu einer Neuregelung teilweise weiter gelten lassen.
Die EU-Kommission hat Deutschland aufgefordert, schnell auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu reagieren und seine Gesetze zum EU-Haftbefehl zu ändern. Für den Kampf gegen Terrorismus sei es nicht sehr hilfreich, wenn der EU-Haftbefehl derzeit in Deutschland nicht angewandt werden dürfe, sagte der Sprecher von EU-Innenkommissar Franco Frattini gestern in Brüssel.
Der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, forderte eine schnelle Neufassung des Gesetzes, in das man Grenzen für geringfügige Straftaten hineinziehen müsse. Das Gesetz als solches müsse jedoch kommen, betonte der Bielefelder CDU-Politiker. »Es ist Voraussetzung für die Bekämpfung der internationalen Kriminalität und des Terrorismus.«
Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven erklärte, »das Urteil ist im Kontext der europäischen Terrorbekämpfung ein schwarzer Tag«. Das Urteil stehe »in der Reihe mit dem freigelassenen mutmaßlichen Terroristen Mzoudi, der mangels Beweisen freigesprochen wurde«. Es sei ein harter Tag für die Beschaffer von Informationen, auch für die Bundesanwaltschaft, sagte Tophoven. Der Rechtsstaat stoße nach seiner Einschätzung »wohl an die Grenzen in der Bekämpfung des militanten, islamistischen Terrorprofils«.

Artikel vom 19.07.2005