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»Fünf-Sterne-Restaurant mit Stehtischen«

Hauptstädter sauer: In Bahnhof Zoo sollen Fernzüge nicht mehr halten

Berlin (WB/DS). So sehr Europas modernster Kreuzungsbahnhof auch außerhalb der Hauptstadt als ein Wunderwerk der Technik gefeiert wird, so sehr wird die Freude bei den Berlinern durch einen Wermutstropfen mächtig gedämpft.

Die Ankündigung der Bahn, von Mai 2006 den gerade erst modernisierten Ostbahnhof mit Fernzügen praktisch links liegen zu lassen und vor allem das Vorhaben, von diesem Zeitpunkt an keine Fernverkehrszüge mehr im Bahnhof Zoo halten zu lassen, treibt vielen Berlinern die Zornesröte ins Gesicht. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Siegfried Helias hält diese Entscheidung für verhängnisvoll und ein »Armutszeugnis«. Helias, der den Wahlkreis Charlottenberg-Wilmersdorf vertritt: »Die mittelständischen Unternehmen im Bahnhof Zoo werden dafür abgestraft, dass sie dort investiert haben. Die Hamburger haben doch auch drei innerstädtische Bahnhöfe.« Es sei nicht einzusehen, warum dies in Berlin nicht funktionieren sollte, schimpfte er in der Netzeitung.
Und in der »Welt« wetterte der FDP-Bundestagsabgeordnete Hellmut Königshaus: »Der Bahnhof Zoo hat ein Einzugsgebiet mit der Einwohnerzahl von Köln und Düsseldorf, trotzdem koppelt die Bahn ihn ab und schickt die Leute zum neuen Hauptbahnhof - das ist verrückt.« Und der Berliner Bahn-Experte setzt noch einen drauf. Der neue Hauptbahnhof sei zwar ein Superbahnhof, doch es fehlten U-Bahn- und Tram-Anschlüsse sowie S-Bahnen in Nord-Süd-Richtung.« Spottet Königshaus: »Der neue Hauptbahnhof ist ein Fünf-Sterne-Restaurant mit Stehbiertischen.«
Der Fahrgastverband Igeb schließlich unterstellt: Nicht die Zeitersparnis sei das Hauptmotiv der Bahn, am Zoo keine Fernzüge mehr halten zu lassen, sondern die Auslastung der vielen Läden und Restaurants im künftigen Hauptbahnhof. »Ein Zughalt im gut erreichbaren Bahnhof Zoo würde Reisende und damit potentielle Käufer vom schlecht erreichbaren Hauptbahnhof abziehen. Die Bahn ist jedoch dringend auf maximale Mieterlöse in dem extrem teuer gewordenen Hauptbahnhof angewiesen«, erklärt Igeb-Vorsitzender Christfried Tschepe.
Auch Bahnchef Hartmut Mehdorn weiß, wie sehr die Westberliner an ihrem Bahnhof Zoo hängen. Durch die Teilung war er eben ihr »Hauptbahnhof«. Doch Mehdorn ficht die Kritik nicht an: »Der Zoo ist kein Fernbahnhof.« Er sei zu klein, zu viel Aufsichtspersonal sei nötig. Vielleicht lassen sich die Berliner ja dadurch besänftigen, dass das neue Prunkstück offiziell »Hauptbahnhof/Lehrter Bahnhof« heißen wird. Für diesen Zusatz hatten sie lange gekämpft.

Artikel vom 20.07.2005