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Leitartikel
Chinas Strategiewechsel

Bambus ist
biegsamer
als Eiche


Von Bernhard Hertlein
In der Mitte liegt die Kraft. Im Reich der Mitte.
Bislang wirkte die Kraft wie ein Magnet. Von überall strömten Einkäufer und Verkäufer nach China -Êum Geld zu verdienen. Mit Erfolg. Geld verdient haben aber auch die Chinesen. Und weil Kraft im Kapitalismus in Geld gewogen wird, ist die Mitte noch stärker geworden. Peking soll 230 Milliarden US-Dollar in amerikanischen Staatsanleihen angelegt haben. Jetzt drängt diese Kraft nach außen - auf Felder, wo die Renditen höher liegen.
Offiziell werden Staaten wie China, Indien und Malaysia noch als Entwicklungsländer geführt -Êvermutlich weil sie sich entwickeln, während die alte Welt still steht.
Nur so kann man das Erstaunen verstehen, dass Unternehmen aus Asien immer öfter westliche Unternehmen aufkaufen. Schon schlagen konservative US-Politiker und -Volkswirtschaftler Alarm. Der Finanz-Guru Prof. Jeremy Siegel aus Pennsylvania unkt, die Hälfte der USA werde zur Mitte dieses Jahrhunderts den Chinesen gehören.
Dabei empfinden viele, um der Wahrheit Ehre zu tun, chinesische Investoren nicht als Bedrohung, sondern erkennen einen Strohhalm zur Rettung. Ob er hält, weiß natürlich niemand. Doch wer, um ein Beispiel zu nennen, glaubt an die Rettung von Dürkopp Adler außer durch Shanggong? Der bisherige Eigentümer, FAG Kugelfischer, hat schon vor Jahren das Interesse an dem Bielefelder Traditionsunternehmen verloren. Von dem Schanghaier Konzern aber weiß man, dass er wenigstens die Marke für Textilmaschinen schätzt. Das nährt Hoffnung, dass Shanggong mindestens einen Teil der Produktion und Entwicklung in Ostwestfalen aufrecht erhält.
Ähnliche Gefühle verbinden sich mit der Übernahme der Siemens-Handysparte durch den taiwanesischen Konzern Benq. Für die PC-Sparte von IBM mit der Eingliederung in das chinesische Unternehmen Lenovo. Für die Rover-Beschäftigten in Großbritannien hat sich die Hoffnung noch nicht zerschlagen, dass auch sie durch die Kraft der Mitte und chinesisches Kapital gerettet werden.
Sensibel reagieren einige im Westen, wenn Chinesen versuchen, sich Zugänge zu Rohstoffvorkommen zu sichern. Dabei geht Peking von Venezuela bis Sambia und Kasachstan bis Kanada ganz marktwirtschaftlich vor. CNOOC, mehrheitlich in chinesischem Staatsbesitz, hat im Vergleich mit Chevron einfach das bessere Angebot für den US-Ölkonzern Unocal vorgelegt. Sogleich forderte das US-Repräsentantenhaus mit riesiger Mehrheit, diese Übernahme müsse verhindert werden . . .
Auf diese Weise wird der Westen nicht erfolgreich sein. Lesen wir, was der Meister sagt: »Die Menschen des Okzidents sind wie Eichen: Sie kämpfen gegen den Wind und riskieren, zerbrochen zu werden. Menschen des Orients dagegen sind wie Bambus - biegsam, aber immer wieder fähig, sich aufzurichten.«
Des Meisters Zitat stammt in diesem Fall ausnahmsweise nicht von Konfuzius, sondern von Mao.

Artikel vom 20.07.2005