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 Radprofi Jörg Ludewig  MeinTour-Tagebuch


Bonjour,
Sprüche musst du dir im Fahrerfeld ja eigentlich immer anhören. Na ja, ich bin bekanntlich auch nicht auf den Mund gefallen. Und so kann ich das auch ganz gut vertragen, wenn die Kollegen oder Rivalen mal sticheln und einen bissigen Kommentar raushauen.
So wie heute, auf dem Teilstück nach Montpellier, der Matthias Kessler. Seine verbale Attacke: »Hej, Jörg, wofür wirst du eigentlich bezahlt?« fragt der mich glatt, als ich mal wieder eine meiner vielen Angriffs-Attacken leider erfolglos beenden musste.
Besonderes Honorar krieg ich nicht, aber für meine Moral ist es wichtig, nicht aufzugeben. Aber auch heute, auf dieser relativ flachen Etappe, war das Renntempo im Feld wieder mal so hoch, dass unsere Gruppe letztlich nicht erfolgreich sein konnte.
Da kann ich nur dankbar sein, es nicht geschafft zu haben. Denn diese Körner, die du brauchst, um vorne vor dem Feld zu fahren, setze ich lieber in den nächsten beiden Tagen ein, um möglichst gut über die schweren Berge zu kommen. Ich muss erfreut feststellen: Meine Beine sind noch immer einigermaßen passabel.
Aber jetzt kommen die Pyrenäen mit neun und zehn Prozent. Angst habe ich nicht, aber selbstverständlich gehörigen Respekt. Nur einen Tag auf einer solchen Etappe ein bisschen überdrehen - und schon kann der nächste Tag dein letzter im Feld bei dieser Tour sein.
Übrigens: Mich freut, dass sich »Frösi« Förster wieder gefangen hat. Vielleicht haben meine gestrigen guten Wünsche geholfen, heute hat er als Siebter im Sprint schon wieder sehr gut mitgehalten.
Trotz der guten Beine: Die ersten Verschleißerscheinungen an meinem Körper sind nicht mehr zu übersehen - wie bei den meisten Kollegen. Das zeigen auch meine aktuellen Gesundheitswerte: 33 Ruhepuls, ca. 176 Maximalpuls. Das sind 20 Schläge weniger als vor der Tour. Ab Herzfrequenz 160 schmerzen schon die Beine, ist echt krass. Mit diesem Puls fährst du im Winter Trainingsrunden und unterhältst dich dabei noch locker.
2,3 Kilo habe ich hier in Frankreich schon auf der Strecke gelassen. Die Waage zeigte heute Morgen 72,2 Kilo. Und obwohl wir den Flüssigkeitsverlust schon während des Rennens mit Getränken weitgehend kompensieren, war es im Ziel manchmal noch ein knappes Kilo weniger. Bei meiner Größe von 1,84 Metern sehe ich beinahe schon aus wie ein Hungerleider. Bis Montag.

Artikel vom 16.07.2005