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Armstrong bleibt der König:
»Das war ein perfekter Tag«

Ullrich kämpft sich auf Platz vier - und liegt trotzdem weiter zurück

Saint-Lary-Soulan (dpa). Der Thron von Lance Armstrong steht auch nach der »Königsetappe« fest verankert. Zwar zeigte Jan Ullrich am Wochenende endlich wieder seine Tugenden als großer Kämpfer, er kann den siebten Gesamtsieg des Amerikaners in Serie aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr verhindern. Alle Bemühungen der deutschen Tour-Hoffnung und seiner Mitstreiter vom Team T-Mobile blieben ohne Wirkung.
Jan Ullrich: Großer Kampf in den Pyrenäen.

Sein Traum vom zweiten Erfolg nach 1997 ist damit acht Tage vor dem Finale der 92. Tour de France in Paris wohl endgültig ausgeträumt. Auch die Angriffe Ivan Bassos, der gestern auf den zweiten Platz im Gesamtklassement vorfuhr, prallten an dem übermächtigen Armstrong ab.
Der Etappensieg seines Team-Kollegen George Hincapie (USA), der sich vom Klassiker-Spezialisten zum Berg-Experten gewandelt hat, machte den letzten Pyrenäen-Abschnitt zum hundertprozentigen Armstrong-Tag. »Das war ein perfekter Tag: Ich habe Ullrich Zeit abgenommen und George, mit dem ich seit 17 Jahren zusammenfahre, und der bei allen meinen Toursiegen dabei war, gewinnt. Ich bin sehr zufrieden«, sagte Armstrong.
Der 33-jährige Rekordsieger verlässt das Hochgebirge mit 2:46 Minuten Vorsprung auf den Italiener Basso und geht nach der letzten Pyrenäen-Etappe beruhigt ins Tour-Finale.
Ullrich, der gestern weitere 1:24 Strafminuten von Armstrong und Basso kassierte, behauptete nach der 15. Etappe von Lézat-sur-Lèze über 205,5 Kilometer nach Saint-Lary-Soulan dennoch seinen vierten Rang im Gesamtklassement.
Er weist jetzt 5:58 Minuten Rückstand auf den Träger des Gelben Trikots auf und hat in Paris den dritten Platz im Visier, weil der vor ihm platzierte Mikael Rasmussen (Dänemark/2:49 vor Ullrich) im Zeitfahren die schlechteren Karten hat. Ullrichs Kommentar: »Ich glaube, dass wir uns nichts vorwerfen müssen. Wir haben alles getan, mehr ging an diesem Wochenende nicht.«
Einen Tag nach dem Triumph des Gerolsteiner-Profis Georg Totschnig (Österreich) in Ax-3-Domaines holte sich gestern Hincapie den Tagessieg. Nach dem Ritt über sechs Steigungen begnügten sich Armstrong und Basso mit den Plätzen sechs und sieben. Dem Spitzenreiter fehlt zum kompletten Tour-Glück immer noch ein Etappensieg, den er Samstag beim Zeitfahren anpeilt.
Ullrich, der Armstrong am Samstag attackierte und dafür im Ziel mit 20 Sekunden Zeitverlust bezahlen musste, hat womöglich die gleichen Absichten.
Sein Betreuer Rudy Pevenage fürchtet aber ein wenig um die mentale Stärke seines Schützlings: »Der Zeitverlust in Ax war zwar gering, aber hatte sicher einen psychologischen Effekt zu Gunsten Armstrongs.« Er behielt Recht - acht Kilometer vor dem Ziel konnte Ullrich dem Duo Armstrong/Basso gestern nicht mehr folgen.
Der scheidende T-Mobile-Manager Walter Godefroot zog den Hut vor dem Texaner, der am 24. Juli auf der Schlussetappe Richtung Champs Elysées den letzten Renntag seiner Karriere bestreiten wird: »Er hat wieder einmal seine Extraklasse bewiesen. Seine Dominanz ist anzuerkennen.«
Die gefürchtete Etappe nach Saint-Lary-Soulan lief ähnlich wie die am Vortag. Eine Spitzengruppe, die sich früh bildete, und in der Hincapie und Oscar Sevilla von T-Mobile die Interessen ihrer Kapitäne vertraten, kam durch. Zeitweise hatten die anfangs 14 Ausreißer 19 Minuten Vorsprung. Sechs Fahrer nahmen den zehn Kilometer langen Schlussanstieg in Angriff und machten den Sieger unter sich aus.
Am Samstag hatte Totschnig sein Solo 36 Kilometer vor dem Ziel aus einer Spitzengruppe heraus, die sich schon wenige Kilometer nach dem Start gebildet hatte, begonnen. Im Ziel war der 34-Jährige nach seinem bedeutendsten Karriere-Erfolg so geschafft und vom Glück überwältigt, dass er zusammenbrach. »Ein Lebenstraum ging in Erfüllung«, sagte Totschnig, der bis 2001 an der Seite Ullrichs fuhr.
Nach 89 Kilometern passierte das Fahrerfeld gestern auf der Abfahrt vom Portet d'Aspet jene Stelle, an der Armstrongs Team- Kollege Fabio Casartelli vor zehn Jahren tödlich verunglückte. Am zweiten Ruhetag am heutigen Montag findet dort eine kleine Trauerfeier mit Armstrong und der Familie Casartellis statt. Viele Fahrer trugen gestern zum Gedenken ein breites Armband mit der Aufschrift »Fabio«.

Artikel vom 18.07.2005