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Leitartikel
EU-Haftbefehl gebremst

Glückwunsch
zu diesem
Stopp-Signal!


Von Rolf Dressler
Was zu viel ist, ist zu viel. Des- halb versuchten sich unsere höchsten Verfassungswächter in Karlsruhe erfreulicherweise gar nicht erst an einem gewundenen »Jein, aber«. Ihr rigoroses Nein zu der spezifisch deutschen Handhabung des sogenannten EU-Haftbefehls, wie die rot-grüne Regierung Schröder/Fischer ihn gern praktiziert sehen möchte, hätte klarer nicht ausfallen können.
Jetzt ist die Sache gründlich neu zu bedenken. Darauf haben alle Bürger im neuen, größeren Haus Europa einen Anspruch. Denn hier steht nicht irgendetwas Nachrangiges zur Debatte. Vielmehr muss den geradezu abenteuerlichen Manipulationen an dem gewachsenen und gefestigten Rechts- und Rechtsfindungsgefüge Einhalt geboten werden.
Man fasst sich an den Kopf. Hätte »Karlsruhe« nicht dieses unmissverständliche Stopp-Signal gesetzt, hätten wir uns (über die begreifliche Notwendigkeit der Anti-Terror-Fahndung weit hinaus) unter anderem auf folgendes gefasst machen müssen:- Eine Person mit deutschem Pass, die auch nur vage eines Vergehens in einem anderen EU-Land verdächtig wäre, müsste dorthin ausgeliefert werden.
- Das betreffende Delikt müsste aber nicht einmal in jenem EU-Land begangen worden sein, dessen Justiz die mutmaßliche Tat verfolgen und ahnden wollte.
- So könnte dann etwa das EU- Anwärterland Türkei schon wegen eines völlig diffusen Verdachtes auf »rassistische oder fremdenfeindliche Umtriebe« die Auslieferung eines deutschen Staatsbürgers fordern. Und deutsche Behörden müssten dem stattgeben.
- Ja, der hiesigen Justiz wäre es sogar ausdrücklich verwehrt zu überprüfen, ob der zugrunde liegende Haftbefehl überhaupt rechtlich fundiert begründet sei.
Doch auch damit noch immer nicht genug. Der EU-Haftbefehl würde das verbriefte Prinzip des »natürlichen Richters« im Heimatland aushebeln, das jedem Staatsbürger aus wahrhaft guten Gründen bislang zugesichert wird.
Denn gerade dieser Grundsatz der »natürlichen Nähe« zwischen mutmaßlichem Tatort und Täter soll jedem Beklagten einen möglichst fairen Prozess garantieren.
Unterdessen liebäugeln nicht nur Europa-Politiker verschiedener Parteifarben damit, ein klassisches Rechtsstaatsprinzip schleichend auf den Kopf zu stellen: Nicht der Ankläger sollte die Schuld, sondern der Angeklagte seine Nicht-Schuld bzw. Unschuld beweisen müssen. Das allerdings käme einem kapitalen Umsturz gleich.
Ob Rechtschreibreform-Diktat von Staats wegen, EU-Verfassung von Brüssels und Straßburgs Gnaden und nun auch noch der EU-Haftbefehl: Überall wirken Beratergremien und Experten-Räte, die uns Bürger zu unserem Glück zwingen wollen. Sie berufen sich auf eine angeblich höhere »Logik«. Und das nur zu oft ohne Rücksicht auf bewährte Traditionen und Alltagstauglichkeit.
Geschweige denn auf die Frage, ob irgendjemand die zumeist sündhaft teuren Neuerungen überhaupt braucht.

Artikel vom 19.07.2005