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NRW schert mit Bayern aus

Einführung der Rechtschreibreform verschoben - heftige Kritik

Hamburg (dpa). Für ihr Vorpreschen zur Verschiebung der Rechtschreibreform werden die unionsgeführten Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen überwiegend kritisiert.
Die meisten anderen Bundesländer - auch die ebenfalls CDU-regierten - wollen sich dem Vorstoß, die für 1. August geplante verbindliche Teileinführung der neuen Regeln auf unbestimmte Zeit zu verschieben, nicht anschließen. Bislang hat nur Niedersachsens CDU-Regierung angekündigt, die Frage noch einmal zu diskutieren. Die Kultusministerkonferenz, der Deutsche Philologenverband und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hingegen warfen Bayern und NRW vor, mit ihrem Vorgehen nur noch mehr Verwirrung zu stiften.
So nannte die stellvertretende GEW-Vorsitzende Marianne Demmer die Entscheidung der Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (Bayern/CSU) und Jürgen Rüttgers (NRW/CDU) »Blödsinn«. Mit diesem ewigen Hin und Her brüskierten sie die eigenen Kultusminister, führten den Kulturföderalismus ad absurdum und erreichten, dass niemand mehr die Rechtschreibung ernst nehme. »Aber vielleicht wollen sie Zeit gewinnen, um das Ganze doch noch zu stoppen.«
Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, kritisierte das Ausscheren am Sonntag als »Zickzack-Kurs«. Es könne zwar sinnvoll sein, wegen noch ausstehender Nachbesserungen des Rechtschreibrats die Übergangsfrist zu verlängern. »Wenn aber Entscheidungen kurzfristig über den Haufen geworfen werden, trägt dies mehr zur Verunsicherung als zur Klärung bei.«
Die KMK-Vorsitzende und brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka (CDU) sagte, »wir sind verwundert und erstaunt«. Sie wisse nicht, was Rüttgers und Stoiber bezweckten. »Die Kultusminister haben sich mit ihren Beschlüssen an das gehalten, was die Ministerpräsidenten wollten«, sagte sie.
Stoiber hatte angekündigt, Bayern wolle warten, bis der Rat für Rechtschreibung in den nächsten Monaten seine Empfehlungen für Korrekturen vorlege. Diese wolle er dann übernehmen. Es habe keinen Sinn, die Reform jetzt verbindlich einzuführen und schon im nächsten Jahr wieder Änderungen vorzunehmen. Dieser Entscheidung hat sich NRW angeschlossen.
Gestern kündigten die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und das Saarland an, das Reformwerk wie geplant am 1. August umzusetzen. Dem schloss sich der Berliner Senatssprecher Michael Donnermeyer an. Bereits am Samstag hatten die CDU-geführten Regierungen in Hessen, Thüringen und Sachsen erklärt, bei der Verschiebung nicht mitziehen zu wollen.
Am 1. August sollen die nach Auffassung der Kultusminister »unstrittigen Teile« der Reform für Schulen und Ämter verbindlich werden. Das bedeutet, dass Lehrer alte Schreibweisen als Fehler anstreichen müssen. Dazu zählen die neuen Regeln für die Groß- und Kleinschreibung, die Laut-Buchstaben-Zuordnung (Stängel statt Stengel) und die Auflösung von »ß« nach kurzem Vokal zu »ss« (Fluss statt Fluß). Über die Getrennt- und Zusammenschreibung, Silbentrennung und Zeichensetzung soll dagegen weiter beraten werden. Seite 2: Leitartikel

Artikel vom 18.07.2005