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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


»Christentum ist, was keinen Spaß macht«, hat ein Theologe unserer Zeit einmal ironisch gesagt. Er wollte damit freilich nicht das Christsein selbst und den christlichen Glauben charakterisieren oder gar verspotten, sondern nur eine seiner Karikaturen aufspießen, wie sie allerdings in vielen Köpfen herumgeistert.
Es gab in der Vergangenheit, und es gibt wohl auch heute noch eine Art, die Bibel auszulegen und sich einen vermeindlich christlichen Lebensstil zuzulegen, in der es von Verboten nur so wimmelt. Christsein wird dann leicht mit farblosem Biedersinn verwechselt und wirkt nach außen hin einfach freudlos, langweilig, spießig, sauertöpfisch und grau.
Wer im Thesaurus, dem Wörterbuch seines Computers, einmal nach anderen Ausdrücken für das Wort »Predigt« nachsucht, bekommt das wie von einem Echo bestätigt. Denn da werden nur negativ gefärbte Begriffe angeboten wie »Standpauke«, »Donnerwetter«, »Ermahnung«, »Lektion», »Moralpredigt«, »Zurechtweisung« und »Schelte«, aber nicht etwa »Ermutigung«, »Trost«, »Freudenbotschaft« oder »Zuspruch«.
Christsein, wie es das Neue Testament versteht, definiert sich nicht aus einer bestimmten Moral - weder negativ, was einer lassen muss, um Christ zu bleiben, noch auch positiv, also, was einer tun muss, um Christ zu sein oder zu werden. Menschen haben nicht den Nachweis zu führen, dass sie tatsächlich Christen sind, weder vor sich selbst noch vor anderen noch vor Gott. Dabei könnte doch nur etwas Verkrampftes, Zwanghaftes, auf jeden Fall etwas Unerfreuliches herauskommen. Denn es käme im Endeffekt nur zu einer großen Beschämung, weil man erkennen müsste, dass einem dies gerade nicht gelingt, dass man dauernd dahinter zurückbleiben und immer wieder Fehlanzeige erstatten müsste.
Der junge Luther hatte sich unter dieser Forderung gesehen. Er hatte gemeint, sich so verhalten zu müssen, dass Gott ihn lieben könnte. Und gerade, weil ihm das tödlicher Ernst war, hat es ihn bis an den Rand der Verzweiflung getrieben - bis ihm die Augen dafür aufgingen, dass Gott ihm gerade dieses Problem abgenommen hat.
Denn die Liebe Gottes, die er in Jesus Christus offenbart hat, geht allem, was einer ist und was er tut, voraus. Sie geht ihm aber auch nicht wieder verloren, sie wird nicht zurückgenommen, sondern sie bleibt. Denn Gott macht sich von menschlichem Verhalten und menschlicher Art nicht abghängig. Es geht um eine Liebe, ohne die einer nicht sein, nicht existieren kann, selbst wenn er davon gar nichts weiß. Sie ist auch in Momenten großer Verlassenheit da und trägt einen auch dann noch, wenn ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wird und wenn er durch eigenes Versagen oder Verschulden zu Fall kommt.
Christsein heißt Gotteskindschaft, und das ist eine geschenkte und nicht eine erarbeitete Qualität. Christen müssen darum auch nicht erlöster aussehen, wie Friedrich Nietzsche meinte, oder durch besonders edles Menschentum glänzen. Christen müssen sich nicht mit der Frage herumquälen, ob ihr Glaube und ihre Liebe stark genug sind, sondern sie sollen einfach gelten lassen und sich darüber freuen, dass Gott sie liebt und nicht loslässt.
Martin Luther meinte, man sollte seine Gedanken nicht auf seine Perfektion richten, sondern immer wieder zum Anfang des Christseins zurückkehren, sich in Erinnerung rufen, dass Gott in der Taufe zu einem Menschen sein gültiges Ja gesprochen hat. Das wird durch nichts zurückgenommen, aber von daher werden Umkehr und neue Anfänge möglich. Vielleicht ist erst auf dieser Grundlage echte Selbstkritik überhaupt möglich. Denn dabei stehen dann zwar bestimmte Verhaltensweisen und Wesenszüge in Frage und auf dem Prüfstand. Der Mensch selbst aber steht nicht in Frage.

Artikel vom 16.07.2005