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Deutschland hat aufgeholt

Schüler legen im zweiten Pisa-Test zu - Herkunft oft entscheidend

Berlin (Reuters/dpa). Die Leistung der deutschen Schüler hat sich in allen Bundesländern seit der ersten nationalen Pisa-Studie verbessert. Das Gefälle zwischen den besten Schülern in Bayern und den schwächsten in Bremen ist allerdings immer noch hoch. Trotz leicht verbesserter Leistungen ist NRW im Bundesvergleich abgesackt und damit der große Pisa-Verlierer.

Jubel in Bayern, Sachsen und auch in Baden-Württemberg: »Wettbewerbsföderalismus« nennen die erfolgreichen Pisa-Bundesländer stolz ihr gutes Abschneiden. Väter und Mütter dagegen, die wegen ihres Berufs mit schulpflichtigen Kindern von einem Bundesland in ein anderes ziehen müssen, treibt das krasse Schulleistungsgefälle innerhalb Deutschlands bisweilen zur Verzweiflung. Auch die zweite innerdeutsche Pisa-Studie offenbart: 15-Jährige sind in Bayern mit ihrem Wissen und Können im Schnitt nahezu zwei Schuljahre weiter als Gleichaltrige in Bremen.
Bis zur neunten Klasse haben Schüler in Schleswig-Holstein 9900 Stunden Unterricht, in Bayern knapp 11 400 und in Berlin sogar fast 12 900. Ein Blick in die Pisa-Leistungstabelle der Bundesländer zeigt, dass das zur Erklärung allein nicht ausreicht. Der Bildungsforscher Klaus Klemm (Essen) listete unlängst eine ganze Reihe von Daten auf: Geldaufwand pro Schüler, junge Lehrer, alte Lehrer, kleine oder große Klassen, Lehrerfortbildung.
Hinzu kommen wichtige Kriterien, die politisch nur wenig zu beeinflussen sind: etwa ein hoher Anteil von Schülern ausländischer Herkunft wie in Bremen mit 40 Prozent - in Thüringen dagegen nur 2,9 Prozent. Auch die Arbeitslosenquote und die Zahl der Sozialhilfeempfänger unter den Schülereltern schlägt sich im Schulleistungsergebnis nieder.
Das miserable deutsche Abschneiden beim ersten Pisa-Test im Dezember 2001 hatte bundesweit einen Schock ausgelöst. Innerhalb nur weniger Stunden hatten sich die ansonsten nicht selten heftig zerstrittenen Kultusminister auf einen Maßnahmenkatalog verständigt.
Im Mittelpunkt steht dabei die bundesweite Absprache über einheitliche Bildungsstandards, die festlegen, was ein Schüler am Ende eines Schuljahres können muss. Einig war man sich auch über mehr frühkindliche Bildung schon im Kindergarten und vor allem über mehr Sprachunterricht für Migrantenkinder bereits vor der Einschulung.
Ein Hauptproblem der deutschen Schule bleibt unterdessen ungelöst. Die bereits im Dezember 2004 vorgestellte internationale Pisa-Studie bescheinigt Deutschland erneut, wie kein anderes vergleichbares Industrieland bei der Förderung von Arbeiter- und Migrantenkindern zu versagen und zu wenigen dieser Schüler den Weg zur Hochschulreife zu öffnen.
Ausgerechnet das bei der Schulleistung so erfolgreiche Bayern gilt hierbei als deutsches »Schlusslicht«. Ein Kind aus einer bayerischen Facharbeiterfamilie hat bei gleicher Intelligenz und Kompetenz eine 6,2-mal geringere Chance, ein Gymnasium zu besuchen, als ein Kind aus der Oberschicht. In Nordrhein-Westfalen ist dieser soziale Unterschied nur halb so hoch.
Erfasst wurden für die Studie die Kenntnisse 15-jähriger Schüler in den Bereichen Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und Problemlösen. In allen vier Feldern liegt Bayern klar vorne. Zur Spitzengruppe gehören zudem Sachsen, Baden-Württemberg und Thüringen. Um die Leistungen der Bundesländer vergleichen zu können, wurden in der Erweiterungsstudie »Pisa-E« insgesamt 44 580 Schüler getestet.
Vorrangige Aufgabe sei es nun, die individuelle Förderung von Kindern und den Ausbau von Ganztagsschulen voranzubringen, sagte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) gestern. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) wertete das gute Abschneiden seines Landes als klare Bestätigung der bayerischen Bildungspolitik.

Artikel vom 15.07.2005