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Lügen kommen ja so
leicht von den Lippen

Auch in Partnerschaften ist Flunkern gang und gäbe

»In diesen Klamotten siehst du dick aus!« Wer dem Wunsch des Partners nach einer ehrlichen Antwort immer so direkt nachkommt, könnte schnell ein Leben als Single fristen. Denn obwohl Wahrheit in unserer Gesellschaft als ein hohes Gut gilt, lügen sich Menschen tagtäglich an.

In Beziehungen wird absolute Ehrlichkeit meist automatisch vorausgesetzt. Fraglich ist nur, ob man den Partner trotzdem manchmal anschwindeln darf oder muss, um ihn zu schonen (oder sich selbst schützen) - oder ob man ihn mit der Realität konfrontieren sollte.
»Es gibt keine Regel, wann man in einer Beziehung lügen darf oder die Wahrheit sagen muss«, sagt Hans-Werner Bierhoff von der RuhrUniversität Bochum. »Einerseits wird Ehrlichkeit, Offenheit und Verlässlichkeit von den Partnern als tragende Säule einer Beziehung angesehen. Auf der anderen Seite wäre es aber auch für alle Beteiligten unerträglich, wenn jeder Gedanke ausgesprochen würde«, betont der Psychologe.
Jeder Mensch reagiert anders, wenn es um Ehrlichkeit in einer Beziehung geht: Je nach den Erfahrungen aus Kindheit, Jugend oder vergangenen Beziehungen ist man mehr oder weniger misstrauisch oder verletzbar. »Sich für oder gegen die Wahrheit zu entscheiden ist oft eine Gratwanderung«, sagt Bierhoff. Nach Ansicht des Paartherapeuten David Wilchfort sollte man sich auf sein Bauchgefühl verlassen: »Wenn das schlechte Gewissen drückt, muss man aufmerksam werden«, rät er. Ignoriert man das Gefühl, drohen weitere Komplikationen: Das schlechte Gewissen verändert Wilchfort zufolge das eigene Verhalten und damit auch die Situation zwischen den Partnern. Und das sei ein sehr guter Nährboden für neue Probleme.
Auch auf die Aussage des Partners, von einem Thema Ýnichts wissen zu wollenÜ, könne man sich nicht einfach verlassen, warnt Wilchfort. Egal ob es sich um ein großes Problem oder nur um eine Kleinigkeit handelt. Es gilt, genau zu überlegen, ob dieser Wunsch des Partners in diesem Fall tatsächlich Bestand haben soll. »Wenn man das Gefühl hat, das ist irgendwie nicht stimmig, sollte man das Thema auf jeden Fall ansprechen«, rät der Experte. Sonst drohten nämlich langfristig doch noch Konflikte.
Entscheidend sei außerdem nicht, ob man die Wahrheit sagt, sondern vor allem wie, ist der Paartherapeut überzeugt. »Es gibt tausend Arten zu sagen, wie man etwas findet oder was passiert ist. Solange man in der Aussage deutlich macht, dass man seinen Partner respektiert und schätzt, kann man fast alles sagen, ohne ihn unnötig zu verletzen.«
Lügen gehört bis zu einem gewissen Maß zu unserer Gesellschaft und ist Teil unserer sozialen Konventionen. Schon bei kurzen Gesprächen mit einer unbekannten Person lügt amerikanischen Studien zufolge mehr als die Hälfte der Beteiligten. Dabei belässt man es meist nicht bei einer kleinen Lüge, sondern sagt innerhalb von zehn Minuten im Durchschnitt gleich zwei bis drei Mal die Unwahrheit.
Die Versuche zeigten außerdem, dass Frauen und Männer etwa gleich oft die Unwahrheit sagen. Allerdings verfolgen sie mit ihren Lügen einen anderen Zweck. Während Frauen dazu tendieren, dem Gesprächspartner Honig um den Mund zu schmieren, neigen Männer dazu, sich selbst in einem guten Licht darzustellen.

Artikel vom 22.07.2005