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Mit der Glatze droht die Krise

Männerfrust: Weniger Haare bedeuten oft auch mehr Probleme

Die Spaßgeneration fordert ihren Tribut: Auch Männer müssen heute mit ihrem Aussehen punkten. ÝInnere WerteÜ sind zwar schön und gut. Doch für den Erfolg in Job und Partnerschaft scheint ein perfekt durchgestylter Auftritt allmählich unerlässlich zu sein.

Die neu erwachte Eitelkeit der Männer hat allerdings ihre Tücken, warnen Psychologen - besonders, wenn sich die Haare zu lichten beginnen. Schon ein flüchtiger Blick in Manager-Casinos, flippige Cafés oder angesagte Discos liefert den Beweis: Immer mehr Männer möchten schön sein.
Das ist manchmal anstrengend, weiß Diplom-Psychologe Siegfried Brockert aus München: »Männer sind heute in dem gleichen Dilemma wie viele Frauen auch. Einerseits sagt ihnen ihr Verstand: ÝBloß kein Schönheits-Stress. Lass' dich ja nicht von der Mode manipulieren.Ü Andererseits wollen gerade Menschen, die ihren Weg im Leben noch suchen, den geltenden Schönheitsidealen entsprechen.« Neue wissenschaftliche Untersuchungen an der Universität Innsbruck haben ergeben, dass etwa zwei Drittel aller Männer mit ihrem Aussehen unzufrieden sind. Dieses Ergebnis wird auch von Studien in Frankreich und USA bestätigt.
Die traditionelle Kleiderordnung bietet den Männern nur wenige Variations-Möglichkeiten. Auch Waschbrettbauch und Schwarzenegger-Schultern sind nicht jedem gegeben. Zur Befriedigung ihrer Eitelkeit weichen deshalb besonders jüngere Männer auf das Experimentieren mit ihren Haaren aus. Brockert: »Die Zeiten, in denen Ungepflegtsein Mode war, sind vorbei. Der eine läuft mit langen Locken herum, weil das seine Freundin so mag. Ein anderer ist gegelt und sieht aus wie Al Pacino - und auch das, weil eine Frau darauf steht.«
Alles ist erlaubt: windzerzauste Struwwelpeter-Frisuren, blonde Glanzlichter auf dunklen Haarbüscheln, farbige Irokesenschnitte oder abenteuerliche Krönchen und Teufelshörner. Locken und Blocksträhnen in allen Farben des Regenbogens zieren ebenfalls Männerköpfe. Mancher coole Typ erscheint tagsüber im Büro ganz seriös mit gescheiteltem Schopf - und geht abends mit einer Wuschelfrisur auf die Walz.
Wenn sich die Haare plötzlich lichten, ist allerdings Gefahr im Verzug. Psychologe Brockert: »Beim Blick in den Spiegel gilt die Formel Ýweniger Haare - mehr ProblemeÜ. Spätestens, wenn ein Mann der Dame seines Herzens nicht mehr gefällt, gerät er in eine Sinnkrise. Auch von ihrer Umwelt werden Männer mit Haarwuchs-Problemen häufig mit Bosheiten bedacht: ÝPlatteÜ, ÝKahlschlagÜ, Ýentlaubte StirnÜ sind nur einige Ausdrücke der Geringschätzung. Toupets werden als ÝTarnkappeÜ, ÝDachverzierungÜ oder ÝGiebelschmuckÜ abgewertet. Haare gelten nun einmal als Zeichen von Männlichkeit.«
Zum Glück muss Haarausfall nicht mehr als unabänderliches Schicksal hingenommen werden. Mittlerweile greifen weltweit mehr als zwei Millionen Männer zu einem Haarwuchsmittel mit dem Wirkstoff Finasterid. Die Wirksamkeit dieser Haar-Pille wurde in Langzeitstudien über fünf Jahre bereits eindrucksvoll bestätigt. Mit ihrer Hilfe lässt sich der Haarausfall bei bis zu 90 Prozent der behandelten Männer stoppen, bei mehr als 60 Prozent wird das Haar sogar wieder dichter - der gefürchtete ÝKahlschlagÜ bleibt aus.
Übrigens: Dass Frauen Männer mit Glatze besonders sexy finden, ist eine Behauptung, die Männer mit lichten Haaren nur selten bestätigen können. Eine Umfrage ergab: Wenn es um den ersten Eindruck geht, haben Männer mit vollem Haar sechs Mal höhere Chancen als Kahlköpfe, in die engere Partnerwahl zu kommen.
Auch Diplom-Psychologe Brockert kann in der Glatze keinen Beweis für Männlichkeit erkennen: »In vielen Kulturen gilt das Schneiden der Haare als Raub der Männlichkeit. Gefangenen werden die Köpfe kahl rasiert, beim Militär wird so mit den jungen Rekruten verfahren. Die Hoffnung dabei ist, dass sie den Verlust an Männlichkeit durch Aggressivität ersetzen. Aber auch Männer wollen nicht immer kämpfen, sondern viel lieber gefallen - und zwar auch sich selbst.«

Artikel vom 22.07.2005