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Starker Wille, schwacher Körper

Der 33-jährige Jens Voigt verliert den Kampf gegen das Zeitlimit

Digne-les-Bains (dpa). Leerer Blick, kurzer Atem, schwere Beine - gezeichnet kämpfte sich Jens Voigt ins Ziel.

Stundenlang hatte er die Warnzeichen des Körpers ignoriert, stundenlang auf eine Belohnung für seinen Kampf gegen die Uhr gehofft. Am Ende fehlten 41 Sekunden, um unter dem festgeschriebenen Zeitlimit zu bleiben. Erst Stunden später fand er wieder die Kraft für Erklärungen: »Dass ich diese Etappe durchgefahren bin, war meine stärkste Leistung der diesjährigen Tour.«
Von den Glücksgefühlen der vergangenen Tage ist wenig geblieben. Nur vier Tage nach seinem Parforceritt ins Gelbe Trikot trat der 33 Jahre alte Berliner als erster von 16 deutschen Fahrern frustriert die Heimreise an. Schon am Ruhetag in Grenoble fiel das Training schwer, nur 24 Stunden später wurde jeder Kilometer auf der schweren Alpenetappe von Courchevel nach Briancon zur Hölle. »Schon kurz nach dem Start habe ich gemerkt, das wird heute hart.«
Eine Bronchitis mit 40 Grad Fieber konnte zwar den Durchhaltewillen nicht brechen, schwächte aber den Körper. Vor allem den Anstieg hinauf auf den 2645 Meter hohen Col du Galibier wird Voigt so schnell nicht vergessen. Begleitet von den aufmunternden Worten des ehemaligen Radprofis Kim Andersen, der im Mannschaftswagen des dänischen Rennstalls CSC das drohende Aus zu verhindern suchte, mobilisierte er letzte Kräfte. »Er hat mir immer wieder zugerufen: Jens, Du musst schneller fahren, das wird eng.«
An die Zieleinfahrt in Briancon kann sich der im bisherigen Saisonverlauf erfolgreichste deutsche Radprofi nur noch dunkel erinnern. »Da habe ich wirres Zeug geredet und sogar meine Physiotherapeutin nicht mehr erkannt«, sagte Voigt. Alle Versuche der Teamleitung, gegen den Ausschluss zu protestieren, blieben vergebens. Nach kurzer Beratung zeigte der Daumen der Jury nach unten. Damit war der Tour-Ausschluss besiegelt. Bei aller Enttäuschung über sein zweites vorzeitiges Tour-Aus nach 2003 kann Voigt mit dieser Entscheidung der Direktion leben: »Regeln sind Regeln. Mal sind sie gegen dich, mal profitiert man von ihnen.«

Artikel vom 15.07.2005