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Lernen von den
deutschen Ärzten

Russische Medizinerin im Klösterchen

Von Sabine Schulze
Bielefeld (WB). Badewannen für die Geburt sind in St. Petersburg und Moskau durchaus schon bekannt und Unterwassergeburten dort in Mode, weiß Natalja Timofejewa. In Nowgorod allerdings, wo die Gynäkologin zu Hause ist, wären sie purer Luxus: »Wir müssen unseren Etat für Wichtigeres ausgeben.« Noch bis Montag ist die russische Ärztin Gast des Franziskus-Hospitals, begleitet hier Dr. Klaus Trillsch, Oberarzt in der Gynäkologie, und schaut ihm bei seiner Arbeit über die Schulter.

Über den Freundeskreis Evangelische Kirche Nowgorod sowie über das Kuratorium Städtepartnerschaft kam der Kontakt zwischen dem »Klösterchen«, namentlich Trillsch, und den beiden Geburtskliniken in Nowgorod zustande. Vor neun Jahren hospitierte zunächst eine Hebamme an der Kiskerstraße, bei seinem ersten (von sieben oder acht) Gegenbesuchen in Nowgorod lernte der Bielefelder Gynäkologe dort Kollegen kennen.
Nachdem zwei Arztgruppen bereits am Klösterchen waren, weilt nun Natalja Timofejewa in Bielefeld. Die Leitende Frauenärztin für Stadt und Umgebung von Nowgorod, die für niedergelassene Gynäkologen und Kliniker verantwortlich ist, wird von Dr. Elena Alexejewa begleitet: Die Deutschlehrerin an der Nowgoroder Staatlichen Universität fungiert als Dolmetscherin - und ist damit ihrem Traumberuf Medizin nahe.
»Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich hier machen kann«, betont die russische Gynäkologin. Auch bei Operationen darf sie dicht am Tisch stehen und den Bielefelder Ärzten auf die Finger schauen. Und wenn die Kliniken in Nowgorod auch nicht über die modernsten Instrumente, über hochwertiges, sehr dünnes Nahtmaterial oder neueste Verbände verfügen, wenn Ultraschallgeräte nicht wie bei uns zum Standard gehören und die Ausstattung etwa der entspricht, wie sie bei uns vor 30, 40 Jahren Standard war, nimmt Timofejewa doch so manche Anregung auf: »Auch ohne große finanzielle Mittel kann man manches umsetzen: die hiesige Technik des Kaiserschnittes, die Besonderheiten bei gynäkologischen Operationen oder die Verwendung der Periduralanästhesie«, zählt sie auf und ist entschlossen, ihren Kollegen in dieser Richtung Anstöße zu geben.
Umgekehrt zollt auch Trillsch den russischen Ärzten Anerkennung: »Sie sind gut, und ihr Ausbildungsstand ist gut. Aber sie müssen ihren Dienst unter schwierigen Bedingungen in einem schlecht ausgestatteten Gesundheitssystem mit Zwei-Klassen-Medizin leisten.« Für ihn ist wichtig, zu lernen, wie die Menschen dort leben. »Wir wissen viele Dinge von den anderen nicht, diskutieren aber ihre Probleme. Wir sprechen über Wassergeburten und haben Krankenhäuser, in denen Duschen Luxus sind oder die Menschen zu viert in Einraum-Wohnungen leben.«
Im kommenden Jahr, hofft er, wird er wieder einige Tage oder Wochen sowohl in Ruanda als auch in Nowgorod arbeiten. »Die russischen Ärzte freuen sich schon auf ihn«, sagt Natalja Timofejewa. Mit Patienten wird Trillsch wegen der Sprachbarriere weniger Kontakt haben - es sei denn, sie sind narkotisiert. Gleichwohl wollen viele von dem deutschen Arzt, von dessen »Gastrolle« sie gehört haben, operiert werden. »Als ich einmal in Nowgorod spazieren ging, kam mir eine junge Frau entgegen und bedankte sich bei mir überschwenglich für eine Operation«, erzählt er. Und kann nur vermuten, dass es ein Kaiserschnitt war, weil er sie nicht wiedererkannte.

Artikel vom 16.07.2005