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Patienten werden »kalt gemacht«

Gilead: Hochmodernes Behandlungsverfahren verhindert Zellsterben

Bethel (WB). Mit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma (SHT) wurde Anfang des Jahres ein 15-jähriges Mädchen in Gilead in Bethel eingeliefert. Ihr Zustand war lebensbedrohlich. Alle üblichen Verfahren, die wichtigsten Körperfunktionen zu stabilisieren, blieben wirkungslos. Als letztes Mittel wendeten die Ärzte auf der operativen Intensivstation der Anästhesiologie eine Methode an, bei der SHT- und Schlaganfall-Patienten bewusst unterkühlt werden, um so das Absterben von Gehirnzellen zu verhindern.

Seit Februar dieses Jahres verfügt die Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfall-, Schmerz- und Transfusionsmedizin (AINS) in Gilead über zwei »CoolGards«, hochmoderne softwaregesteuerte Kühlsysteme, mit denen Patienten mit Gehirn-Trauma bewusst »kalt gemacht« werden. In der Herz- und Gefäßchirurgie ist die induzierte Hypothermie bereits gang und gäbe, bei der Therapie von Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma jedoch ist der Einsatz des Verfahrens noch eine Besonderheit. »In der Region zwischen Münster und Hannover sind wir sicherlich Vorreiter«, weiß AINS-Chefarzt Prof. Dr. Fritz Mertzlufft.
Bei einem schweren Schädel-Hirn-Trauma geraten Stoffwechsel, Atmung und die Körpertemperaturregelung häufig ins Missverhältnis. Dadurch können enorme neurologische Schäden entstehen. Mit der induzierten Hypothermie wird der Sauerstoffverbrauch des Gehirngewebes reduziert, solange die Durchblutung gestört ist. »Die kontrollierte Unterkühlung verhindert das Absterben der Gehirnzellen - ein elegantes und vor allem lebensrettendes Verfahren«, sagt Prof. Fritz Mertzlufft.
Das 15-jährige Mädchen war bereits die fünfte Patientin, die in der Betheler AINS-Klinik im Evangelischen Krankenhaus Bielefeld (EvKB) mit der therapeutischen oder induzierten Hypothermie erfolgreich behandelt wurde. »Wir haben das Verfahren bereits im letzten Jahr erprobt und waren schnell von der Praktikabilität der Methode überzeugt«, sagt Professor Mertzlufft. Von vier der fünf bereits behandelten Patienten könne er mit Gewissheit sagen, dass sie ohne die kontrollierte Unterkühlung nicht überlebt hätten.
Bei der jungen Frau sei die Methode die letzte therapeutische Möglichkeit gewesen, die sie noch gehabt hätten. »Ihre Pupillen waren bereits geweitet. Phasenweise hatten wir kaum noch Hoffnung. Die Unterkühlung hat ihr letztlich das Leben gerettet. Heute lacht und spricht sie wieder, sie ist wieder ganz normal«, freut sich Dr. Friedhelm Bach, der als leitender Oberarzt der AINS-Klinik an der Behandlung beteiligt war.
Bei der induzierten Hypothermie wird die Körpertemperatur der Patienten über Wärmeaustauschkatheter innerhalb von zwei bis drei Stunden dosiert abgekühlt, bis die Zieltemperatur von 32 Grad Celsius erreicht ist - also fünf Grad Celsius unter der Normaltemperatur. »Die Temperaturschritte müssen sehr präzise erfolgen. Das kann man, flapsig gesagt, nicht mit einer Kühldecke schaffen«, erklärt Prof. Mertzlufft. Die Unterkühlung wird teilweise für mehr als 48 Stunden aufrechterhalten. Die Wiederaufwärmung geschieht in kleinen Schritten und deutlich langsamer als die Abkühlung - maximal um 0,1 Grad Celsius pro Stunde.
Die Anwendung der induzierten Hypothermie an der Anästhesieklinik in Bethel funktioniert reibungslos. Prof. Fritz Mertzlufft betont aber, dass sie trotzdem längst noch keine Routine sei, »auch wegen der erheblichen Risiken«.

Artikel vom 14.07.2005